Neue energiepolitische Akzente für Norddeutschland: Interview mit dem Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg Olaf Scholz

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ScholzAnlässlich der 18. BBH-Jahreskonferenz am 24.4.2013 in Hamburg hatten wir die Gelegenheit, vorab ein Interview mit Olaf Scholz, dem Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, zu führen.

BBH-Blog: Herr Bürgermeister, eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre wird der Ausbau der Netzinfrastruktur sein. Darin sind sich Politik und Wirtschaft weitestgehend einig. Uneinigkeit besteht allerdings darin, in welche Netze investiert werden soll: in die Übertragungsnetze, die den Strom vom Norden in den Süden der Republik transportieren sollen, oder in die regionalen Verteilnetze. Das eine Lager argumentiert mit dem hohen Stromerzeugungspotential im Norden durch On- und Offshore, das andere mit der räumlichen Nähe zwischen Erzeugung und Verbrauch. Auf welcher Ebene muss der Netzausbau primär stattfinden und welche Rolle spielt die Entwicklung von intelligenten Netzen hierbei?

Olaf Scholz: Der Ausbau der Übertragungsnetze muss Priorität haben. Für den Industriestandort Deutschland ist dies von existenzieller Bedeutung. Und es stimmt: Der an den Küsten des Landes produzierte Windstrom muss in den Westen und Süden der Republik geleitet werden. Die dazu erforderlichen Leitungen müssen zu einem großen Teil erst noch gebaut werden. Das ist eine immense Herausforderung. Unser Land sollte vorbereitet sein, wenn die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Deshalb darf die Energiewende nicht scheitern. Leider hat die Bundesregierung hier nicht überzeugt. Die Politik muss zum Beispiel dafür sorgen, dass die Unternehmen, die sich im Bereich der Energiewende engagieren, Planungs- und Investitionssicherheit haben. Sonst kommt der Netzausbau nicht voran. Intelligente Stromverteilungsnetze spielen bei der Energieversorgung der Zukunft eine wichtige Rolle. Weil sich die Struktur der Energieerzeugung ändert – und unter anderem auch viele dezentrale, kleinere Einheiten entstehen – müssen die Netze intelligent werden, damit die Stromversorgung gesichert und die Stabilität aufrechterhalten werden kann.

BBH-Blog: Aktuell ist bundesweit ein Trend festzustellen, den Betrieb von Strom- und Gasnetzen aus der Privatwirtschaft in die kommunale Verwaltung zurückzuführen. Ist dieser Trend zur Rekommunalisierung Fluch oder Segen für die Kommunen?

Olaf Scholz: Es fällt schwer, allgemeingültige Bewertungen abzugeben, weil die Kommunen unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen und man die Lage jeweils individuell beurteilen muss. Klar ist, dass mit einer Übernahme der Verteilnetze für jede Stadt und jede Gemeinde unternehmerische Risiken verbunden sind. Werden die Netze in öffentlicher Hand betrieben, dann benötigt die Kommune das technische und betriebswirtschaftliche Know-how, um damit erfolgreich sein zu können. In manchen Fällen kann es sein, dass private Unternehmen dazu besser imstande sind, oder dass es sinnvoll ist, Kooperationen einzugehen. Hamburg hat sich jetzt mit 25,1 Prozent an den Netzgesellschaften für Strom und Gas beteiligt und sich weitgehende Rechte zusichern lassen: Die Investitionen werden im Einvernehmen mit der Stadt festgelegt und die Stadt erhält eine Dividendengarantie.

BBH-Blog: Im Zuge der Energiewende ändert sich auch die deutsche Energielandschaft: weg von der zentralen Energieerzeugung durch Großkraftwerke hin zur dezentralen Einspeisung regenerativ erzeugter Energie. An dieser können sich die Bürger beteiligen – in der Diskussion sind auch Beteiligungen an Netzen. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen diesen Optionen und der wachsenden Unterstützung in der Bevölkerung, wenn es um den Rückkauf der Netze geht?

Olaf Scholz: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine ausreichende Nachfrage nach solchen privaten Netzbeteiligungen gibt. In Hamburg ginge es immerhin um 2 Milliarden Euro, die aufgebracht werden müssten. Es ist zu bezweifeln, dass ein solches Anlagemodell funktioniert.

BBH-Blog: Im September entscheiden die Hamburger per Volksentscheid darüber, ob die Stadt die Energienetze zurückkauft und den Netzbetrieb zukünftig in die eigenen Hände nimmt. Der Kaufpreis liegt – Sie erwähnten es schon – bei stolzen 2 Milliarden Euro. Auf der anderen Seite bringt der Netzbetrieb aber auch sichere Renditen mit sich. Würde sich die Investition nicht für Hamburg lohnen?

Olaf Scholz: Und das wäre noch nicht alles: Sämtliche Investitionen in Instandhaltung und Umbau der Netze müssten durch die Stadt Hamburg finanziert werden. Das gesamte unternehmerische Risiko läge bei einem solchen Modell allein bei uns. Durch die vereinbarten Garantiedividenden hat die Stadt Hamburg feste Einnahmen und minimiert dadurch dieses Risiko. Die Forderung nach einer vollständigen Verstaatlichung birgt außerdem hohe rechtliche Risiken. Wir müssten langwierige Gerichtsverfahren mit offenem Ausgang abwarten.

BBH-Blog: Sie haben sich gegen eine komplette Übernahme der Strom-, Gas- und Fernwärmenetze ausgesprochen, sondern für einen strategischen Anteil von 25,1 Prozent entschieden. Wie sichern Sie dadurch den Einfluss der Stadt auf den Netzbetrieb und die Netzinvestitionen?

Olaf Scholz: Mit den Energienetzen allein – also den Rohren und Kabeln – gelingt die Energiewende nicht. Der bloße Besitz der Netze verschafft noch keinen Einfluss auf die Art der Energieerzeugung in den Kraftwerken, die diese speisen. Jeder Netzbetreiber ist dazu verpflichtet, jeden Strom durchzuleiten – ganz gleich, wie er erzeugt wurde. Mit der Kooperation, die Hamburg mit den Energieversorgern eingegangen ist, bestimmen wir über die Art der Energieerzeugung mit. Die Verträge über die gemeinsamen Netzgesellschaften beinhalten auch den Bau eines Innovationskraftwerkes und die Errichtung von Speicherkapazitäten für Erneuerbare Energie. Insgesamt werden Investitionen von 1,6 Milliarden Euro ausgelöst. So bringen wir die Energiewende voran.

BBH-Blog: Hamburg ist ein Industrie- und Handelszentrum mit einem hohen Energieverbrauch. Wie meistert die Hansestadt die Energiewende, ohne dass die Lichter ausgehen? Wo liegen die größten Herausforderungen der nächsten Jahre?

Olaf Scholz: Wir lassen bereits neue Technologien für die Speicherung von Energie aus Windkraftanlagen zum Einsatz kommen. Hamburg wird die Stadt mit den größten Speicherkapazitäten werden. Gemeinsam mit E.ON Hanse bauen wir eine der modernsten Power-to-Gas-Anlagen weltweit. Mit dem hohen Energiebedarf der Industrie und mit seiner geografischen Lage in der Nähe der windreichen Küsten und künftigen Offshore-Anlagen ist Hamburg der ideale Standort dafür. Mit Vattenfall haben wir den Bau von Wärmespeichern in Tiefstack und beim neuen Gas- und Dampfturbinenkraftwerk Wedel festgelegt. Dort wird Windstrom für die Fernwärme genutzt.

BBH-Blog: Herr Bürgermeister, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Gespräch.

Dieses Interview führten Jörg Kuhbier und Prof. Dr. Ines Zenke.

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