Windenergieanlagen in der Regionalplanung zwischen rechtlichen Anforderungen und planerischer Wirklichkeit

(c) BBH
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Erst Schleswig-Holstein, dann Mecklenburg-Vorpommern, jetzt auch noch Thüringen: immer mehr Oberverwaltungsgerichte (OVG) werfen die Regionalplanung der Landesgesetzgeber für Windkraft über den Haufen.

Im Januar hatte das OVG Schleswig-Holstein die Teilfortschreibungen der Regionalpläne I und III (Ausweisung von Windenergieeignungsgebieten) für unwirksam erklärt (wir berichteten).

Mit Urteil vom 27.5.2015 (Az. 1 N 318/12) hat nun das OVG Thüringen den Regionalplan Mittelthüringen für unwirksam erklärt, soweit er Vorranggebiete für Windenergie festlegt und gleichzeitig vorsieht, dass außerhalb dieser Vorranggebiete raumbedeutsame Windenergieanlagen nicht zulässig sind. Der rechtliche Vorwurf besteht darin, dass der Träger der Regionalplanung bei der Bestimmung von Flächen, die von einer Windenergienutzung ausgeschlossen werden sollen, nicht zwischen „harten“ und „weichen“ Tabuzonen differenziert hat. Es wurden vielmehr Flächen ohne weitere Abwägung ausgeschlossen, ohne dass hierfür tatsächlich oder rechtlich zwingende Gründe dargelegt wurden.

Bereits am 8.4.2014 hatte das OVG Thüringen (Az. 1 N 676/12) den Regionalplan Ostthüringen, soweit er Vorranggebiete für Windenergie festlegt und gleichzeitig vorsieht, dass außerhalb dieser Vorranggebiete raumbedeutsame Windenergieanlagen nicht zulässig sind, mit derselben Begründung gekippt.

Auch das OVG Mecklenburg-Vorpommern musste sich dieses Jahr bereits mit dieser Thematik auseinandersetzen. Am 10.3.2015 (Az. 3 K 25/11) hatte das Gericht das Regionale Raumentwicklungsprogramm Vorpommern hinsichtlich der Festsetzung von Eignungsgebieten von Windenergieanlagen für eine bestimmte Fläche für unwirksam erklärt. Die Regionalplanung war fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Ausweisung der in Streit stehenden Fläche als Eignungsgebiet ein rechtlicher Grund (Sicherheitszone für den Flugverkehr) entgegen stand. Anders als in Schleswig-Holstein und Thüringen bezog sich der Fehler allerdings nur auf diese eine abtrennbare Teilfläche, so dass das Regionale Raumentwicklungsproramm Vorpommern im Übrigen von dem Urteil unberührt blieb.

Was steckt dahinter?

Zu Fall brachten die Regionalplanung die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 11.4.2013, Az. 4 CN 2/12) dazu, wie private und öffentliche Belange bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen gegeneinander abzuwiegen sind (§ 7 Abs. 2 ROG). Hiernach ist im ersten Abschnitt des Abwägungsprozesses zwingend zwischen harten und weichen Tabuzonen zu unterscheiden, da diese nicht demselben rechtlichen Regime unterliegen (erstmals: BVerwG, Urt. v. 15.9.2009, Az. 4 BN 25.09). Während bei harten Tabuzonen die Windenergienutzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist, sind weiche Tabuzonen im Rahmen der Abwägung der privaten und öffentlichen Belange zu berücksichtigen.

Welche Konsequenzen werden gezogen?

In Schleswig-Holstein hat das OVG-Urteil mittlerweile zu einer Reaktion des Gesetzgebers geführt (wir berichteten). Das neue Windenergieplanungssicherstellungsgesetz (WEPSG), das am 5.6.2015, in Kraft getreten ist, soll die nunmehr begonnene Neuaufstellung der Regionalplanung absichern. Raumbedeutsame Windenergieanlagen sind daher bis zum 5.6.2017 grundsätzlich unzulässig und können nur ausnahmsweise genehmigt werden. Ob sich dieses Vorgehen bewährt und tatsächlich rechtssicher „Wildwuchs“ von Windenergieanlagen vermeidet, bleibt abzuwarten.

In Thüringen müssen die Regionalpläne – unabhängig von den aktuellen Urteilen – gemäß § 5 Abs. 6 Satz 3 ThürLPlG geändert werden, da mit dem Landesentwicklungsprogramm Thüringen 2015 vom 4.7.2014 die Planungsziele geändert wurden. Dies führt dazu, dass die Regionalpläne zwingend angepasst werden müssen. Die Änderung der vier Regionalpläne wurde bereits beschlossen. Sie sollen voraussichtlich im März 2018 der Landesregierung zur Genehmigung vorgelegt werden.

Ebenso wie in Schleswig-Holstein existiert aufgrund der Urteile des OVG Thüringen bis zur Fertigstellung der neuen Regionalplanung für Mittelthüringen sowie Ostthüringen keine Planung mehr, die das Windenergieprivileg des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB einschränken kann (§ 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB). Aus Angst vor „Wildwuchs“ kam daher aus der Politik bereits der Ruf nach einem „Windkraft-Moratorium“.

Fazit

Die Urteile der Obergerichte zeigen, dass die Länder die Vorgaben des BVerwG zur Abwägung der privaten und öffentlichen Belange bei der Aufstellung von Regionalplänen noch nicht vollständig umgesetzt haben. Die vom BVerwG aufgestellten Kriterien gelten aber, wie das OVG Thüringen mit seinem Urteil vom 8.4.2014 betont, für alle zur Überprüfung anstehenden Planungsentscheidungen, unabhängig davon, von wann sie stammen. Ob weitere Pläne zu Fall gebracht werden, bleibt abzuwarten. Von hoher Praxisrelevanz ist die Frage, wie die betroffenen Länder einstweilen den Ausbau der Windenergienutzung in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Ausbauzielen ausgestalten werden und dabei gleichzeitig den „Wildwuchs“ rechtssicher vermeiden, der mit Einführung des Planvorbehalts in § 35 Abs. 3 S. 3 BauGB abgewendet wurde.

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