Festlegung der BNetzA zur Weiterentwicklung der Netzzugangsbedingungen Strom: Variable Stromtarife und der Austausch von Zählzeitdefinitionen (Teil 4)
Das Adjektiv dynamisch stammt vom griechischen Begriff dynamikós, was so viel wie „mächtig, wirksam“ bedeutet. Dies steht im deutlichen Gegensatz zur heutigen Bedeutung der dynamischen Stromtarife in der Energiewirtschaft, insbesondere für kleinere Letztverbraucher. Über die variablen Stromtarife schreiben wir in Teil 4 unserer Blog-Reihe zu den Netzzugangsbedingungen Strom.
Variable Stromtarife
Schon lange ist im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) die Verpflichtung verankert, variable Tarife anzubieten, die einen Anreiz zur Energieeinsparung oder Steuerung des Energieverbrauchs setzen (§ 40 Abs. 5 EnWG). Doch fristen gerade zeitvariable Tarife – meist in Form von „altmodischen“ HT-/NT-Tarifen – ein Schattendasein, obwohl die meisten deutschen Stromlieferanten derartige Produkte führen.
Bei dynamischen Stromtarifen variieren die Kosten für den Letztverbraucher unmittelbar in Abhängigkeit der Preise an den Spotmärkten für Strom (Day-Ahead-Markt, Intraday-Markt). Sie sind an die Installation entsprechender Zähler, insbesondere intelligenter Messsysteme (iMS), gebunden und werden derzeit nur von einer Handvoll Stromlieferanten angeboten, da auch der Rollout der iMS bisher weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sich dies grundlegend ändern. Sowohl zeitvariable als auch dynamische Stromtarife sollen sich im Massengeschäft etablieren. Einerseits steht durch den Rollout der iMS die notwendige Zählertechnik für die Anwendung zukünftig breiter zur Verfügung. Andererseits soll durch die Umsetzung europäischer Vorgaben im Rahmen der EnWG-Novelle ein verpflichtendes Angebot für dynamische Stromtarife eingeführt werden, sofern ein Stromlieferant mehr als 200.000 Letztverbraucher hat (§ 41a Abs. 2 EnWG-Entwurf).
Was haben zeitvariable Stromtarife mit der Mako 2022 zu tun?
Der Möglichkeitsraum zur Abrechnung zeitvariabler Stromtarife und die Regelungen innerhalb der Mako 2022 sind eng miteinander verknüpft. Stromlieferanten, die ihren Kunden zeitvariable und dynamische Stromtarife anbieten möchten, stehen vor der Frage, welche Messwerte sie für die Abrechnung heranziehen sollen. Bei iMS mit Tarifanwendungsfall 7 (TAF7: Zählerstandsgangmessung) übermittelt der Messstellenbetreiber werktäglich den Lastgang mit Viertelstundenwerten an den Energielieferanten. Beim Tarifanwendungsfall 2 (TAF2: Zeitvariable Tarife) werden für die Ermittlung der abrechnungsrelevanten Arbeitsmengen die Messwerte innerhalb der jeweiligen Tarifstufe (Hochtarif, Niedertarif) addiert und an die berechtigten Marktteilnehmer durch den Messstellenbetreiber verteilt. Für den Zeitraum des Niedertarifs gelten derzeit die Schwachlastzeiten des Netzbetreibers.
Was aber, wenn der Stromlieferant nicht nur zwei, sondern beispielsweise sechs Tarifstufen mit statischen Preisen oder eine stündliche Anpassung der Arbeitspreise an den Börsenstrompreis seinen Kunden anbieten möchte? Derzeit kann der Lieferant diese zeitvariablen Tarife anbieten, indem er die abrechnungsrelevante Arbeitsmenge für die jeweilige Tarifstufe mittels der vom Messstellenbetreiber übermittelten Lastgangdaten in seinem Backendsystem selbst berechnet. Aber ist es nicht grundsätzlich Aufgabe des Messstellenbetreibers, die abrechnungsrelevanten Arbeitsmengen zu ermitteln? Grundsätzlich ja, jedoch kann dies der Stromlieferant bei der Abrechnung der Stromlieferung anhand der Lastgangdaten auch selbst tun.
Durch das Festlegungsverfahren zur Weiterentwicklung der Netzzugangsbedingungen Strom vom 21.12.2020 (BK6-20-160) wurden in die Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität (GPKE) die Prozesse zum Austausch von Zählzeitdefinitionen aufgenommen. Zählzeitdefinitionen beinhalten in einer Viertelstundengranularität für das Kalenderjahr die Information, zu welcher Zeit welches Register an einer Marktlokation (und dementsprechend auch an der/den korrespondierenden Messlokationen) die geflossene Energie erfasst.
Die neuen Prozesse, vom Austausch der Übersicht der Zählzeitdefinitionen bis hin zu eventuell notwendigen Parametrierungen, dienen sowohl dazu, die bereits bekannten Zählzeitdefinitionen des Netzbetreibers auszutauschen. Zugleich können zukünftig auch Zählzeitdefinitionen des Lieferanten übermittelt werden. Lieferanten können Zählzeitdefinitionen bestellen, die insbesondere variablen Tarifen zugrunde liegen. Durch die Einführung dieser Prozesse können variable Tarife insofern massengeschäftstauglich umgesetzt werden. Dies ist entscheidend, um perspektivisch auch das Potential der iMS besser ausnutzen zu können und die Vorteile der Digitalisierung für den Geldbeutel der Letztverbraucher spürbar werden zu lassen.
Einen Knackpunkt gibt es hier allerdings: Eine Zählzeitdefinition des Lieferanten für den Zählzeitenanwendungszweck „Endkunde“ kann im Falle eines Letztverbrauchers mit einem Jahresstromverbrauch bis 10.000 kWh nur bestellt werden, wenn eine Bilanzierung auf Basis von Viertelstundenwerten gewählt wurde. Dies liegt darin begründet, dass der Lieferant mit einem entsprechenden Tarif die Lastverlagerung des Kunden anregt und somit in sein Verbrauchsverhalten eingreift. Sodann muss der Lieferant auch die Verantwortung für die von ihm gesetzten Anreize übernehmen und dies mittels einer viertelstundenscharfen Bilanzierung berücksichtigen.
Hoffnung keimt auf
Prognosen sind bekanntlich, frei nach dem Physiker Niels Bohr, schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Es bleibt zu hoffen, dass zeitvariable Stromtarife durch den Rollout der iMS in Verbindung mit der Einführung der Prozesse zu Zählzeitdefinitionen im Rahmen der MaKo 2022 tatsächlich mächtig und wirksam werden, um Anreize zu Energieeinsparung oder zur netzdienlichen Lastverlagerung des Energieverbrauchs zu setzen und so einen Beitrag zum Klimaschutz und dem Gelingen der Energiewende zu leisten.
Ansprechpartner*innen BBHC: Dr. Andreas Lied/Matthias Puffe/Dr. Karina Appelmann
Ansprechpartner*innen BBH: Dr. Jost Eder/Martin Brunz
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