Kartellkontrolle von Wasserverbänden: Palmström’sche Logik beim BGH

„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“: So endet das berühmte Gedicht von Christian Morgenstern „Die unmögliche Tatsache“. Daran fühlt sich erinnert, wer den Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 18.10.2011 (Az. KVR 9/11) liest, der erst jüngst veröffentlicht worden ist. Danach ist der Niederbarnimer Wasser- und Abwasserzweckverband als Unternehmen im Sinne des Kartellrechtes (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB) anzusehen.

Das hatte man bis dato mit guten Gründen auch anders sehen können: So hatte noch die Vorinstanz, das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 8.12.2010 entschieden, dass ein öffentlich-rechtlicher Trinkwasserversorger, der von seinen Abnehmern aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Anschluss- und Benutzungszwangs Gebühren erhebt, kein Unternehmen im Sinne des Kartellrechts sein kann.

Dem Verfahren liegt das kartellrechtliche Missbrauchsverfahren des Bundeskartellamtes (BKartA) gegen die Berliner Wasserbetriebe zugrunde. (Hier haben jüngst die Berliner Wasserbetriebe auf die kartellrechtliche Abmahnung des Bundeskartellamtes mit einer 180-seitigen Stellungnahme reagiert). Im Rahmen dieses Verfahrens hatte das BKartA sogenannte Auskunftsbeschlüsse gegen insgesamt 45 Trinkwasserversorgungsunternehmen erlassen, darunter auch den Zweckverband aus Niederbarnim.

Grundsätzlich ist kartellrechtlich schon lange entschieden, dass auch Körperschaften des öffentlichen Rechts Unternehmen im Sinne des Kartellrechts sein können, wenn und soweit sie wirtschaftlich tätig sind. Wenn die öffentliche Hand in (potentiellen) Wettbewerb zu privaten Unternehmen tritt, soll sie sich auch dem Wettbewerbsrecht beugen müssen. Eine Ausnahme hat der BGH bisher in den Fällen gemacht, dass die betreffende Körperschaft ihre Leistungsbeziehung zu den Abnehmern öffentlich-rechtlich organisiert. Dahinter steckt der Gedanke, dass der kartellrechtlichen Kontrolle nur privatrechtliche Leistungsbeziehungen zugänglich sind.

Mit dem vorliegenden Beschluss des BGH steht jetzt außer Zweifel, dass Bundes- und Landeskartellbehörden in Zukunft alle Wasserversorgungsunternehmen befragen dürfen, ob die Beziehung zwischen Versorgungsunternehmen und seinen Abnehmern eine öffentlich-rechtliche ist oder nicht. Die wichtige und umstrittene Frage nach der kartellrechtlichen Kontrolle von hoheitlichen Gebühren bleibt dabei allerdings offen; ebenso die Frage, was gilt, wenn es in der Hand des Wasserversorgers liegt, die Leistungsbeziehung hoheitlich bzw. privatrechtlich zu organisieren.

Zur Begründung bemüht der BGH seinen bereits Anfang der 1960er Jahre aufgestellten Grundsatz von der „Doppelqualifikation“ staatlichen Handelns. Ein öffentlich-rechtlicher Versorger ist damit trotz Gebührenerhebung als Unternehmen anzusehen, wenn die betreffende öffentlich-rechtliche Körperschaft in einer „Wettbewerbsbeziehung zu anderen Unternehmen steht“. Ausreichend ist insofern auch ein potentielles Wettbewerbsverhältnis. So weit, so gut und kartellrechtlich auch richtig. Wenn ein öffentlich-rechtlicher Wasserversorger horizontal – also in Beziehung zu anderen Wasserversorgern – im tatsächlichen oder potentiellen Wettbewerb um die Belieferung seiner Abnehmer steht, ist die Anwendung des Wettbewerbsrechtes (also GWB und UWG) zum Schutz der privaten Wettbewerber geboten. Über das vertikale Verhältnis zu den Abnehmern ist damit noch keine Aussage getroffen.

Leider fängt spätestens an dieser Stelle die palmströmsche Logik an. Der BGH überträgt den an sich richtigen Grundsatz der Doppelqualifikation ohne weitere Subsumtion auf den vorliegenden Fall. Es müsste damit ein zumindest potentielles Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Niederbarnimer Wasser- und Abwasserzweckverband und dritten Wasserversorgern geben. Im Kartellrecht kommt es an dieser Stelle darauf an, den in Frage stehenden Markt genau abzugrenzen. Dies ist bei einem öffentlich-rechtlichen Wasserversorger, der seine Kunden im Wege des Anschluss- und Benutzungszwangs versorgt, augenscheinlich der lokale Versorgungsmarkt des betroffenen Wasserversorgungsunternehmens. Auf diesem Markt kann jedoch kein (eben auch nicht potentielles) Wettbewerbsverhältnis zu anderen Wasserversorgungsunternehmen bestehen, solange es jedenfalls um Kunden geht, die dem Anschluss- und Benutzungszwang unterliegen. Der Grundsatz von der Doppelqualifikation staatlichen Handelns hilft damit bei der öffentlich-rechtlichen Wasserversorgung nicht weiter.

Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf – nämlich die Aufgabenerfüllung der Kartellbehörden zu erschweren – bejaht der BGH vorliegend die Auskunftspflicht des Zweckverbandes. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, „dass sich die Kartellbehörden ausreichende Informationen beschaffen können, um ihre gesetzlichen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen“. Gleichsam zur Beruhigung betont das Gericht allerdings, dass es ja nicht um ein konkretes Verfahren gegen das so verpflichtete Unternehmen gehe, so dass seine „öffentlich-rechtliche Tätigkeit … dadurch nicht beeinträchtigt“ werde.

Um eine Beeinträchtigung geht es aber auch gar nicht, auch wenn die Beantwortung langer Fragebögen sicherlich nicht vergnügungssteuerpflichtig ist. Es geht um eine saubere Abgrenzung unterschiedlicher rechtlicher Bereiche. Die hoheitliche Tätigkeit der öffentlichen Hand wird durch die Verwaltungsgerichte mit ihren zum Beispiel in Gebührenfragen übrigens strengen Maßstäben kontrolliert. Aufsichtsbehörden und Rechnungshöfe sind für die verwaltungsrechtliche Aufsicht zuständig. Ein offenbar fehlendes Vertrauen der Kartellbehörden in diese Art der Aufsicht rechtfertigt nicht, die kartellrechtliche Kontrolle auf diesen Bereich auszudehnen (auch wenn sich im Ergebnis die maßgeblichen Prüfungsmaßstäbe gar nicht unterscheiden dürften/Gussone, IR 2011, S. 290 ff.). Positiv verbleibt insofern nur zu vermerken, dass der BGH genau diese Frage der kartellrechtlichen Kontrolle von öffentlich-rechtlichen Gebühren augenscheinlich nach wie vor ablehnt.

Eine Reaktion des Gesetzgebers auf den Beschluss ist nicht zu erwarten. Der Referentenentwurf für die 8. Novelle des GWB von Anfang November 2011 hatte bereits, offenbar gut informiert über den ohne mündliche Verhandlung ergangenen Beschluss des BGH vom 18. Oktober 2011, die nunmehr geltende Rechtslage zu Grunde gelegt (siehe Blogbeitrag v. 12.12.2011).

Ansprechpartner: Daniel Schiebold

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