Löschkonzepte gehören auf den Prüfstand: Verjährung der Steuerhinterziehung erst nach 15 Jahren

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Gesetzesvorhaben ohne Corona-Bezug waren in den vergangenen Monaten in den Hintergrund gedrängt. So konnte am 16.12.2020 fast geräuschlos das sog. Jahressteuergesetz 2020 vom Bundestag verabschiedet und am 28.12.2020 im Bundesgesetzblatt (BGBl.) verkündet werden. Das Gesetz, das auf eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen zurückgeht, verlängert die strafrechtliche Verfolgbarkeit von besonders schwerer Steuerhinterziehung von 10 auf 15 Jahre. Ein wirksames Tax Compliance Management System wird zunehmend unabdingbar.

Was steckt dahinter?

Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung sind mitunter hochkomplex und haben häufig internationale Bezüge. Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass deshalb die Schwierigkeit besteht, Zusammenhänge zu erkennen, aus denen ersichtlich wird, ob steuerstrafrechtliche Implikationen gegeben sind. Die Verjährungsfrist von zehn Jahren reiche daher nicht aus, um steuerstrafrechtlich relevante Sachverhalte rechtzeitig aufzudecken und vollumfassend auszuermitteln. Aufgrund der Digitalisierung sei es zudem immer schwieriger, Geldflüsse oder die Übertragung von Wirtschaftsgütern nachzuvollziehen, so dass in diesen Fällen Ermittlungen der Finanzbehörden länger dauerten und Amtshilfe in anderen Staaten erforderten. Die Internationalisierung der Wirtschaft und die fortschreitende Digitalisierung werden noch zu einer Zunahme dieser Fälle führen.

Doch so komplex muss es gar nicht sein. Schon kleine Fehler in der Umsatzsteuer oder auch der Strom- und Energiesteuer haben oftmals große Auswirkungen, der Betrag von 50.000 Euro pro Veranlagungszeitraum ist schnell erreicht. Wer also denkt, dass er von der neuen Regelung nicht betroffen ist, kann sich irren, denn die Hürde für besonders schwere Steuerhinterziehung ist nicht besonders hoch gehängt.

Anzuwenden ist die Regelung auf alle Taten, die zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens noch nicht verjährt sind. Einer Übergangsregelung bedarf es nicht, auch weil man den Steuerhinterziehern keinen Vertrauensschutz einräumt.

Entwicklung der Verjährungsfristen im Überblick

Der Gesetzgeber schießt immer wieder über das Ziel hinaus. Das System der Verjährung wurde mehrfach durcheinandergebracht und lässt inzwischen die Verhältnismäßigkeit vermissen: Im Jahr 2008 wurde die Verjährung der besonders schweren Steuerhinterziehung bereits von 5 auf 10 Jahre erhöht. Diese Frist wird nun auf 15 Jahre verlängert. Im Zuge des Zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes aus dem Sommer 2020 wurde bereits die absolute Verfolgungsverjährung vom Doppelten auf das Zweieinhalbfache der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängert mit der Folge, dass die besonders schwere Steuerhinterziehung nun insgesamt 37,5 Jahre verfolgt werden kann.

Gleichzeitig sind die Anforderungen an eine strafbefreiende Selbstanzeige mittlerweile so hoch gehängt, dass kaum ein Steuerpflichtiger die Chance hat, die andere Seite der goldenen Brücke zu erreichen.

Auswirkung auf die Aufbewahrungsfristen

Die Aufbewahrungsfristen von derzeit 6 bzw. 10 Jahren sind ebenfalls betroffen, denn sie knüpfen an die nicht verlängerte Festsetzungsfrist von in der Regel 4 Jahren an. Beginnen die Steuerbehörden vor Ablauf der (verlängerten) Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen, so läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Dies bedeutet, dass innerhalb der 6- oder 10jährigen Aufbewahrungsfristen begonnene Ermittlungen die Aufbewahrungsfristen auf bis zu 37,5 Jahre verlängern können.

Ein Beispiel:
Buchungsbelege für das Jahr 2010 sind bis zum 31.12.2020 aufzubewahren.
Wurden allerdings Ermittlungen für das Steuerjahr 2010 im Laufe des Jahres 2020 aufgenommen, kann die Aufbewahrungsfrist bis zum 30.6.2048 fortdauern.

Löschkonzepte anpassen

Zukünftig stellt sich für jeden Steuerpflichtigen die Frage, wann Unterlagen entsorgt bzw. gelöscht werden können. Haben die Steuerbehörden bis zum Ablauf der 10jährigen Aufbewahrungsfrist nicht mit Ermittlungen begonnen, so dürfen Unterlagen grundsätzlich vernichtet werden. Allerdings können Steuerhinterziehungen noch für weitere fünf Jahre strafrechtlich verfolgt werden. Um die Verurteilung auf Schätzbasis zu vermeiden und um sich verteidigen zu können, sollten die Unterlagen auch für diese Fälle noch vorhanden sein, so dass sich die Aufbewahrungsfristen faktisch auf 15 (!) Jahre verlängert haben.

Spätestens jetzt sollte jedes steuerpflichtige Unternehmen alles daran setzen, nicht in den Strudel der überlangen Verjährungsfristen zu geraten. Die Komplexität der Steuerpflichten und (die Masse) der in einem Unternehmen zu beurteilenden Sachverhalte führen immer wieder dazu, dass Sachverhalte gar nicht oder nicht korrekt (da unvollständig) dargestellt werden oder Fristen verpasst werden. Ein Tax Compliance Management System schützt die Geschäftsführer in zweierlei Hinsicht vor strafrechtlichen Ermittlungen. Idealerweise lassen sich damit Fehler bereits im Vorfeld vermeiden. Und sollte nachträglich doch ein Fehler entdeckt werden, lässt er sich mit einem wirksamen Tax Compliance Management Systems später noch korrigieren, ohne in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden zu geraten.

Ansprechpartner*innen: Rudolf Böck/Meike Weichel/Sophia von Hake

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