Redispatch 2.0.: Bundesnetzagentur leitet Konsultation der Mindestfaktor-Festlegung ein

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Am 8.6.2020 hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) ihre vorläufige Einschätzung zu den Mindestfaktoren beim Redispatch 2.0 veröffentlicht. Danach hält es die Behörde gegenwärtig für zweckmäßig, den Mindestfaktor für Strom aus Erneuerbaren Energien auf 10 und den Mindestfaktor für Strom aus vorrangberechtigter Kraft-Wärme-Kopplung auf 5 festzusetzen. Dieses vorläufige Ergebnis und der dazugehörige Abwägungsprozess stehen nun zur Konsultation. Stellungnahmen können bis zum 17.7.2020 eingereicht werden. Am Ende steht eine verbindliche Festlegung, die für die künftige Abregelung von Erneuerbare-Energien(EE)- und hocheffizienten KWK-Anlagen grundlegende Bedeutung haben wird. Anlagenbetreiber werden sich fragen müssen, ob die behördlichen Erwägungen überzeugen oder gerichtlich zu überprüfen sind.

Mindestfaktor und einheitlicher kalkulatorischer Preis

Hintergrund des Festlegungsverfahrens ist das Inkrafttreten der Regelungen zum Redispatch 2.0 am 1.10.2021 (wir berichteten). Damit wird das bisherige Einspeisemanagement des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG) in die Redispatch-Vorgaben des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) überführt; ab Oktober 2021 gelten einheitliche Regelungen für konventionelle-, EE- sowie KWK-Anlagen. Wesensmerkmal des Redispatch 2.0 ist die Umsetzung der jeweils kostengünstigsten Engpassbehebungsmaßnahme. Andererseits soll dennoch der – auch EU-rechtlich geltende – Einspeisevorrang von Strom aus EE- und KWK-Anlagen gewahrt bleiben. Um diesen Zielkonflikt aufzulösen, sieht das Gesetz – vereinfacht ausgedrückt – vor, dass Engpassbehebungsmaßnahmen an EE- und KWK-Anlagen künstlich verteuert werden. Bei der Prüfung der Kosten einer möglichen Engpassbehebungsmaßnahme sind keine tatsächlichen, sondern kalkulatorische/fiktive Kosten anzusetzen. Diese wiederum sind so zu bestimmen, dass eine Reduzierung von Strom aus EE- bzw. KWK-Anlagen nur erfolgt, wenn dadurch „in der Regel ein Vielfaches an Reduzierung von nicht vorrangberechtigter Erzeugung ersetzt werden kann (Mindestfaktor)“ (vgl. etwa § 13 Abs. 1a Satz 2 EnWG in der Fassung ab 1.10.2021). Die Abregelung von EE- bzw. KWK-Anlagen soll also nur dann zulässig sein, wenn deren Nichtabregelung gesamtwirtschaftlich gesehen um ein „Vielfaches“ teurer wäre. Die Höhe des Mindestfaktors hatte der Gesetzgeber offen gelassen und nur grobe Leitplanken vorgegeben, wonach der Mindestfaktor zwischen 5 und 15 liegen soll. Die genaue Höhe des Mindestfaktors hat nach den Vorgaben des EnWG die BNetzA in einer Festlegung zu bestimmen, deren Eckpunkte die Behörde nunmehr konsultiert. Den wirtschaftlichen Bewertungen in den Eckpunkten legt die Behörde umfassende rechtliche Ausführungen zugrunde. Beides – wirtschaftliche Prämissen und Gewichtungen zur Ermittlung des Faktors und rechtliche Grundlagen der Festlegung – wird im Konsultationsverfahren jetzt im Detail zu hinterfragen sein.

Mit dem Mindestfaktor allein (dem „Vielfachen“) können die Regelungen zum Redispatch 2.0 aber immer noch nicht abschließend umgesetzt werden. Erforderlich ist daneben noch der „einheitliche kalkulatorische Preis“ für EE- bzw. KWK-Anlagen (bzw. für Anlagen der Netzreserve), auf dessen Basis die kalkulatorischen Kosten tatsächlich ermittelt werden. Die BNetzA verzichtet darauf, den einheitlichen kalkulatorischen Preis oder auch nur die Details zur Ermittlung selbst vorzugeben; die Ermittlung und Veröffentlichung soll vielmehr auf Basis der festgelegten Mindestfaktoren von den Übertragungsnetzbetreibern übernommen werden. Vor dem Hintergrund des Gesetzeswortlautes der Festlegungsermächtigung ist das zumindest erstaunlich.

Mit der Festlegung eines Wertes von 5 für KWK-Anlagen ist die BNetzA am unteren Rand des gesetzlich Möglichen geblieben. Für EE-Anlagen ist ein doppelt so hoher Faktor vorgesehen. Dies bedeutet, dass EE-Anlagen mit einem doppelt so hohen kalkulatorischen Preis angesetzt werden müssen und demgemäß der Einspeisevorrang stärker berücksichtigt wird. Nach Auffassung der BNetzA folgt dies insbesondere aus EU-rechtlichen Vorgaben zum Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien. Inwieweit es damit zu einer direkten Konkurrenz zwischen EE- und KWK-Anlagen kommt, hängt aber entscheidend davon ab, ob ein konkreter Netzengpass technisch überhaupt sowohl durch die Abregelung von KWK-Anlagen als auch durch EE-Anlagen beseitigt werden kann. Ein geringerer Abstand zwischen den beiden Mindestfaktoren hätte nach Berechnungen der BNetzA dazu geführt, dass stets EE-Anlagen für die Behebung eines Engpasses herangezogen worden wären und KWK-Anlagen nur nachrangig in Anspruch genommen würden.

Die finale Fassung der Festlegung ist spätestens zum 1.12.2020 angekündigt. Die erste Veröffentlichung der kalkulatorischen Kosten durch die Übertragungsnetzbetreiber soll spätestens zum 1.10.2021 erfolgen – pünktlich zum Inkrafttreten der neuen gesetzlichen Regelungen.

Es wird konkreter

Neben dem aktuellen Konsultationsprozess zum Mindestfaktor sind auch weitere wichtige Festlegungen zur Ausgestaltung des Redispatch 2.0 geplant. Das lange sehr abstrakte Thema wird immer konkreter und vor allem rechtsverbindlicher. Dies betrifft insbesondere die konkrete Abwicklung der neuen Vorgaben zum Redispatch 2.0 durch Netzbetreiber, Anlagenbetreiber und Direktvermarkter. Der BDEW hat hierzu als „Branchenlösung“ Vorschläge erarbeitet, die nunmehr der BNetzA vorgelegt wurden. Diese dienen der Behörde als Basis für weitere Festlegungsverfahren. Bis Ende des Jahres 2020 sollen dann verbindliche Prozesse für den Redispatch 2.0 vorliegen, auf deren Basis die Ausgestaltung der Datenformate erfolgen kann. Ob das Redispatch 2.0 dann auch die Gerichte beschäftigt, hängt davon ab, inwieweit Netzbetreiber und Anlagenbetreiber für sie wirtschaftlich nachteilige oder zumindest aufwändige Festlegungen akzeptieren oder nicht.

Ansprechpartner: Dr. Thies Hartmann/Jens Vollprecht/Dr. Wieland Lehnert/Dr. Florian Wagner/Christoph Lamy

PS: Wenn Sie an weiteren Informationen zum Redispatch 2.0 interessiert sind, nehmen Sie gerne an unserer laufenden Webinar-Reihe teil.

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