Und los geht’s: Die Musterklagen kommen

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Die Ausweitung des kollektiven Rechtsschutzes im Bereich der Verbraucherrechte stand in den letzten Monaten sowohl bei der EU-Kommission als auch beim nationalen Gesetzgeber weit oben auf der Agenda. Im April 2018 hatte die EU-Kommission einen Richtlinienvorschlag „über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher“ veröffentlicht (wir berichteten). Noch bevor die Richtlinie überhaupt in Kraft tritt, ist ihr jetzt der nationale Gesetzgeber zuvorgekommen und hat im Eilverfahren bereits am 14.7.2018 das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage verabschiedet. Ab dem 1.11.2018 steht qualifizierten Verbraucherschutzverbänden eine neue Klagemöglichkeit zur Verfügung, um gleichartige Rechtsverstöße gegen eine Vielzahl von Verbrauchern in einem Musterverfahren geltend zu machen.

Unter der bisherigen Rechtslage, so die Erwägung des Gesetzgebers, würden Verbraucher häufig darauf verzichten, Schadensersatz- und Erstattungsansprüche geltend zu  machen, da die hierfür aufzuwendenden Kosten in keinem Verhältnis zu dem erlittenen Nachteil stünden („rationales Desinteresse“). Der unrechtmäßig erlangte Gewinn verbliebe deshalb häufig bei dem unrechtmäßig handelnden Unternehmen, welches hierdurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreuen Wettbewerbern erziele. Mit der Musterfeststellungsklage soll dem ein wirksames Instrument kollektiven Rechtsschutzes entgegengesetzt werden, ohne dass damit eine „Klageindustrie“ nach dem Vorbild der aus den USA bekannten class actions entsteht.

Gewährleisten sollen dies die klageberechtigten Verbraucherschutzverbände, die mit einer  Musterfeststellungsklage gerichtlich feststellen lassen können, ob bestimmte Rechtsverhältnisse zwischen Unternehmern und Verbrauchern bestehen oder nicht (§ 606 Abs. 1 ZPO). Dies kann etwa die Frage betreffen, ob ein bestimmtes Verhalten eines Unternehmens als schadensersatzpflichtiger Rechtsverstoß einzuordnen ist. Voraussetzung für die Musterfeststellungsklage ist, dass eine Mindestanzahl von Verbrauchern betroffen ist. So ist bereits bei Klageerhebung glaubhaft zu machen, dass mindestens zehn Verbraucher von dem festzustellenden Rechtsverhältnis betroffen sind. Zwei Monate nach der vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage müssen mindestens 50 betroffene Verbraucher ihre Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse  zur Eintragung in einem speziellen Klageregister angemeldet haben (§ 606 Abs. 3 ZPO).

Das Urteil der Musterfeststellungsklage entfaltet ausschließlich im Verhältnis zwischen den angemeldeten Verbrauchern und dem betroffenen Unternehmen Bindungswirkung (§ 613 Abs. 1 ZPO). Diese betrifft jedoch lediglich die grundsätzliche rechtliche Bewertung des zur Entscheidung gestellten Sachverhaltes. Ob und in welcher Höhe der einzelne Verbraucher daraus tatsächlich einen konkreten Zahlungsanspruch herleiten kann, bleibt dagegen nach wie vor einer individuellen Verhandlung oder erforderlichenfalls einem regulären Klageverfahren vorbehalten. Daneben ermöglicht die Vorschrift des § 611 ZPO auch einen verbindlichen Vergleich über die Höhe etwaiger Ansprüche.

Ob die Musterfeststellungsklage die Erwartungen des Gesetzgebers erfüllen wird, bleibt abzuwarten. Die Prognosen reichen insoweit von einem regelrechten Ansturm der Verbände auf „klagefähige“ Sachverhalte bis hin zu einem Schattendasein der Musterfeststellungsklage aufgrund der begrenzten personellen und finanziellen Ausstattung der Verbände. Sicher erscheint indes, dass die erste Feuerprobe der neuen Klageart nicht lange auf sich warten lassen wird: Bereits für den 1.11.2018, dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes, hat die Verbraucherzentrale Bundesverband angekündigt, in Kooperation mit dem ADAC eine Musterfeststellungsklage gegen die Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem Dieselskandal zu erheben.

Ansprechpartner: Stefan Wollschläger/Astrid Meyer-Hetling

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