Corona-Pandemie und Tourismus-Branche – im Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft Dr. Michael Frenzel

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Eines ist in den letzten Monaten deutlich geworden: Es gibt kaum einen Wirtschaftssektor, der nicht von der Corona-Pandemie betroffen ist. Über die Auswirkungen und die jeweiligen Bewältigungsstrategien haben wir mit Vertretern unterschiedlicher Infrastruktur-Branchen gesprochen; darunter die Kommunalwirtschaft und die Energieversorgung. Aber auch das Thema Börsenpreise und den internationalen Blickwinkel auf Großbritannien, Italien und Spanien hatten wir dabei. Heute sprechen wir mit Dr. Michael Frenzel, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft, über die Folgen der Corona-Pandemie und des jüngsten Shutdowns für die Infrastrukturen Tourismus und Flugverkehr.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Dr. Frenzel, es ist nun eingetreten, was viele für den Herbst befürchtet hatten: Die Zahl der Corona-Fälle steigt exponentiell. Die Regierung hat mit einem Shutdown reagiert, der zunächst bis Ende November gelten soll. Neben der Gastronomie ist es vor allem die Tourismus-Branche, die von den Einschränkungen besonders betroffen ist. Wie geht die Branche damit um?

Frenzel: Dieser neuerliche Shutdown für alle Anbieter von Freizeitaktivitäten trifft die Tourismusbranche einmal mehr ins Mark. Schon die letzten Monate waren dramatisch und haben – trotz Teilöffnung in den meisten Segmenten – zu massiven Umsatzverlusten und großen Existenzängsten geführt. Der neuerliche Totalstillstand verschärft die Situation noch einmal immens. Die von der Bundesregierung zugesagten November-Entschädigungen sind fraglos ein wichtiges und unerlässliches Hilfsangebot für dieses Sonderopfer, das wir leisten müssen, damit Schulen, Kitas und weite Teile der Wirtschaft offen bleiben können. Diese Hilfen müssen nun aber auch schnell und umfassend fließen – ohne Wenn und Aber und auch für diejenigen, die bislang durchs „Rettungsraster“ gefallen sind.

Zudem besteht natürlich massive Verunsicherung und Planungsunsicherheit, da niemand sagen kann, wie es nach dem 30.11.2020 weitergeht. Die wenigsten Kunden buchen in dieser Situation Reisen, Übernachtungen, Flüge oder Freizeitaktivitäten für die kommenden Monate – nicht für sich selbst und auch auch nicht als Weihnachtsgeschenk, wie es viele in den letzten Jahren getan haben. Somit ist vorerst keine Verbesserung unserer Situation in Sicht.


BBH-Blog:
Unternehmen brauchen Investitions- und Planungssicherheit, um sich wirtschaftlich gut entwickeln zu können. Das ist unter den aktuellen Umständen kaum gegeben: Niemand weiß, wie lange und unter welchen Umständen die Corona-Pandemie andauert. Werden wir in einem halben Jahr noch die Vielfalt in der Tourismus-Branchen haben, wie wir sie kennen?

Frenzel: Wir hoffen natürlich sehr, dass dies so ist. Zurzeit steht aber eher zu befürchten, dass wir einen Teil dieser Vielfalt einbüßen werden, wenn wir keine Lösung finden, wie wir mit dem Virus leben und reisen können. Zu viele Unternehmen kämpfen – trotz der fraglos begrüßenswerten Hilfsangebote des Staats – ums Überleben. Besonders dramatisch ist die Situation in den Städten, wo nicht nur jetzt durch den Teillockdown Stillstand herrscht. Gerade die Großstädte waren aufgrund fehlender Geschäftsreisender und weniger ausländischer Touristen auch in den vergangenen Monaten bereits gespenstisch leer. Das hält die touristische Infrastruktur auf Dauer nicht aus. Aber auch in den ländlichen Regionen steht zu befürchten, dass touristische Angebote wegbrechen. Damit drohen auch deutliche Einbußen für die Lebensqualität im „ländlichen Raum“, wenn dort beispielsweise Restaurants, Mobilitäts- und Freizeitanbieter dauerhaft schließen müssen.

BBH-Blog: Die Bundesregierung versucht mit Kostenpauschalen, Überbrückungshilfen und KfW-Schnellkrediten die Wirtschaft stabil zu halten. Wie bewerten Sie die Konjunkturmaßnahmen?

Frenzel: Wir sind der Politik äußerst dankbar für die Hilfen, die sie anbietet. Dazu gehört neben den genannten ganz sicher auch das Kurzarbeitergeld, das bislang viele Arbeitsplätze gerettet hat. Vieles was die Politik in dieser Krise entscheidet und auf den Weg bringt, ist wichtig und notwendig. Trotzdem sind auch diese Hilfen unter dem Strich zu wenig, um unserer Branche langfristig ein Überleben zu sichern. Zudem können sie auch mit Blick auf die Staatsfinanzen keine Dauerlösung sein. Ganz klar ist: Unsere Unternehmer wollen arbeiten und nicht am Tropf der Staatskasse hängen! Und dafür müssen sinnvolle Lösungen gefunden werden.

 BBH-Blog: Was fordern Sie konkret von der Politik?

Frenzel: Dass sie Lösungen findet, wie wir mit diesem Virus leben, arbeiten und reisen können. Wir brauchen politische Lösungen, die dauerhaft ein Maximum an öffentlichem Leben und Freizeit garantieren – ohne den Gesundheitsschutz aus den Augen zu verlieren. Denn bei aller Hoffnung auf das baldige Vorliegen eines Impfstoffs ist abzusehen, dass wir noch viele Monate mit diesem Virus umgehen müssen. Wir stehen bereit, Maßnahmen, die diese persönlichen und unternehmerischen Freiheiten garantieren, mitzuerarbeiten, ein- und umzusetzen. So lange wir aber weiter mit deutlichen Einschränkungen arbeiten müssen, bleiben finanzielle Hilfen und Entschädigungen das Gebot der Stunde. Wichtig ist dabei, dass allen Unternehmen angemessen geholfen wird. Bislang fallen leider zu viele Betriebe – gerade mittlerer Größe – durchs Raster. Hier muss nachgebessert werden.

BBH-Blog: Der Flugverkehr ist eine der wichtigsten Infrastrukturen für die Tourismus-Branche. Allerdings haben in diesem Jahr durch die Corona-Pandemie viele Menschen den Urlaub in Deutschland verbracht: Der deutsche Flugverkehr lag im Oktober fast 70 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Wird sich unser Reise- und Flugverhalten nachhaltig ändern – und was hat das für Konsequenzen für die betroffenen Wirtschaftssektoren?

Frenzel: Die generelle Reiselust der Menschen ist nach wie vor groß. Viele haben selbst in unsicheren Pandemiezeiten die Wochen und Monate vor allem im Sommer genutzt, in denen Reisen innerhalb Deutschlands und Europas zumindest teilweise möglich war. Und es steht zu erwarten, dass die Sehnsucht nach Reisen, nach Freizeitangeboten und der Freiheitsdrang in diesen so einschneidenden Pandemiemonaten möglicherweise sogar noch wächst. Insofern glauben wir fest daran, dass sich der Tourismus auf längere Sicht wieder erholt und das Vorkrisenniveau erreicht. Dies wird nicht in den kommenden Wochen und Monaten der Fall sein. Vermutlich werden wir uns eher auf zwei, drei, vier Jahre einstellen müssen. So weit es unter den gegebenen wirtschaftlichen Zwängen möglich ist, appellieren wir an die Unternehmer, die Zeit zu nutzen, die Recoveryphase auch für Neuausrichtungen und Anpassungen der Angebote zu nutzen. Das Thema Gesundheitsschutz wird voraussichtlich eine größere Rolle spielen als zuvor. Ein noch stärkerer Fokus auf Digitalisierung, Seamless Travel und möglicherweise auch Touchless Travel ist zu erwarten. Und auch das Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit, das vor dieser Krise so sehr im Fokus stand, dürfte und sollte uns spätestens beim Wiederanlaufen des Tourismusmotors dauerhaft begleiten.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Dr. Frenzel, herzlichen Dank für das Gespräch.

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