Bereit für die Barrierefreiheit? Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes ab dem 28.6.2025 Pflicht

Am 22.7.2021 wurde das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und zum 28.6.2025 tritt es vollständig in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt müssen sämtliche Wirtschaftsakteure des öffentlichen und privaten Sektors, zu denen auch Netzbetreiber und kommunale Versorgungsunternehmen gehören können, Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher barrierefrei gestalten. Umfasst sind dabei vor allem sogenannte digitale Produkte und Dienstleistungen, zum Beispiel Webseiten und sonstige digitale Anwendungen wie Apps. Spätestens jetzt sollten Unternehmen die Umsetzung des BFSG auf die Agenda setzen.

Welche Pflichten gelten schon jetzt?

Vorgaben zur Barrierefreiheit auf Bundesebene gibt es mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) schon seit 2002. Das BGG richtet sich vornehmlich an öffentliche Stellen des Bundes wie Ministerien und andere Bundesbehörden. Netzbetreiber und kommunale Versorgungsunternehmen müssen die Vorgaben des BGG daher nicht umsetzen. Jedoch verpflichten die jeweiligen Behindertengleichstellungsgesetze der Länder Unternehmen, bei denen auch Kommunen oder Länder eine wesentliche Rolle spielen. Inwieweit Netzbetreiber und Versorgungsunternehmen unter kommunaler Finanzierung, Beteiligung oder Aufsicht nach landesrechtlichen Regelungen bereits zur barrierefreien Gestaltung ihrer Webseiten und Apps verpflichtet sind, muss einzelfallbezogen geprüft werden.

Wer ist betroffen?

Das BFSG dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, dem sogenannten „European Accessibility Act“.  Der Adressatenkreis ist weit und geht über die Behindertengleichstellungsgesetze der Länder und des Bundes hinaus. Sämtliche Wirtschaftsakteure, unabhängig von ihrer Rechtsform und kommunalen Einwirkung – mit Ausnahme von Kleinstunternehmen –, deren Produkte und Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen, müssen die Vorgaben zur Barrierefreiheit umsetzen. Dabei sieht das BFSG neben der unternehmensbezogenen auch sachliche Ausnahmeregelungen vor. Diese basieren überwiegend auf Unzumutbarkeitserwägungen. Die Ausnahmen müssen jedoch stets ausführlich für den Einzelfall begründet werden.

Welche Produkte und Dienstleistungen sind betroffen?

Das BFSG gibt abschließend vor, welche Produkte und Dienstleistungen barrierefrei ausgestaltet werden müssen. Zu den Produkten zählen etwa Computer, Tablets, Smartphones oder Router. Zudem fallen Fahrausweisautomaten von Personenbeförderungsdiensten oder Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen, die sich beispielsweise an Service-Points von Stadtwerken finden, in den Anwendungsbereich.

Bei den Dienstleistungen sind Telekommunikations- und Personenbeförderungsdienste zu nennen. Verpflichtet sind aber auch Anbieter von sogenannten „Diensten im elektronischen Geschäftsverkehr“. Ein Dienst im elektronischen Geschäftsverkehr können etwa klassische Online-Shops, ein Help-Desk-System oder ein Kundenportal sein. Aber auch schon die bloße Möglichkeit der Kontaktaufnahme im Internetauftritt eines Unternehmens, zum Beispiel zur Vereinbarung eines Beratungsgesprächs, ist umfasst. Hierdurch werden faktisch sämtliche Unternehmen in die Pflicht genommen, die Apps und Internetseiten betreiben, die sich auch an Verbraucher richten.

Welche weiteren Pflichten gibt es?

Bei den weiteren Pflichten unterscheidet das BFSG zwischen unterschiedlichen Rollen entlang marktüblicher Leistungsketten, angefangen vom Hersteller, über den Importeur bis zum Händler. Das Spektrum der einzuhaltenden Pflichten umfasst dabei technische Dokumentationspflichten, Kennzeichnungspflichten, Informationspflichten an Verbraucher oder Auskunftspflichten gegenüber der Marktüberwachungsbehörde.

Welche Konsequenzen haben Verstöße?

Die Einhaltung der Barrierefreiheitsvorschriften wird von den Marktüberwachungsbehörden der Länder überwacht. Stellt die Marktüberwachungsbehörde einen Verstoß fest und bleibt eine Aufforderung zur Herstellung der Konformität des Produktes oder der Dienstleistung mit dem BFSG erfolglos, stehen ihr die im BFSG geregelten Maßnahmen zur Verfügung. Dazu gehört zum Beispiel die Verhängung von Bußgeldern in Höhe von bis zu 100.000 Euro. Als letztes Mittel kommt auch eine Einschränkung oder sogar Untersagung des Vertriebs bzw. der Diensterbringung in Betracht.

Schließlich können auch Verbraucher*innen und Verbände tätig werden. Nach dem BFSG können sie die Marktüberwachungsbehörde dazu auffordern, Maßnahmen zu ergreifen, und dieses Tätigwerden auch gerichtlich einklagen.

Was ist zu tun?

Unternehmen bleiben noch ca. 13 Monate, das BFSG umzusetzen. Eine zeitnahe Analyse der angebotenen Produkte und Dienstleistungen ist empfehlenswert, um eine möglichst reibungslose Umsetzung des Gesetzes zu gewährleisten. Dies gilt auch in Anbetracht der Tragweite der möglichen Folgen im Falle eines Verstoßes. Sollen externe Berater unterstützend eingesetzt werden, gilt es zu bedenken, dass deren Auftragsbücher umso voller sein werden, je näher der 28.6.2025 rückt.

Ansprechpartner*innen BBH: Dr. Michael Weise/Thomas Schmeding/Agnes Eva Müller/Jasmin Tejkl

Ansprechpartner*innen BBHC: Marcel Malcher/Olivia Schatz

P.S.: In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auf unser Webinar „Digitale Barrierefreiheit 2.0 – Pflichten des BFSG für Versorgungsunternehmen, Netzbetreiber und den Vertrieb“ am 5.6.2024 und 17.6.2024, jeweils von 10:00-12:00 Uhr, hinweisen. Hier gehen wir auf die Pflichten, die auf die Adressaten zukommen, ein und geben Hinweise zu einer Umsetzungsstrategie.

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