Bundesfinanzhof stellt klar: Dezentral verbrauchter Strom ist keine Lieferung

Mit seinem Urteil vom 29.11.2022 (Az. XI R 18/21), das am 13.4.2023 veröffentlicht wurde, hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden: „Die Zahlung eines sog. KWK-Zuschlags für nicht eingespeisten, sondern dezentral verbrauchten Strom gemäß § 4 Abs. 3a KWKG 2009 führt nicht zu einer Lieferung i.S. von § 3 Abs. 1 UStG.“ Je nach Ausgangssituation und Rolle stehen Netzbetreiber und hoheitliche Anlagenbetreiber nun vor unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten und -bedarfen.

Hintergrund des Verfahrens

Wie bereits mehrfach berichtet war Ausgangspunkt eine Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses (UStAE) vor einigen Jahren durch das Bundesministerium für Finanzen (BMF). Davon betroffen war die umsatzsteuerliche Behandlung der KWK-Strommenge, die in hoheitlichen Anlagen erzeugt und vor Ort verbraucht wird. Häufig waren besonders „große“ BHKW auf Kläranlagen betroffen. In Ziff. 2.5 Abs. 17 Satz 3 UStAE führt das BMF aus, dass umsatzsteuerrechtlich anzunehmen sei, die gesamte selbst erzeugte und dezentral verbrauchte KWK-Strommenge werde an den Netzbetreiber fiktiv geliefert und von diesem an den Anlagenbetreiber zurückgeliefert.

Die Entscheidung des BFH

Dem tritt der BFH mit seinem Urteil entgegen und bestätigt die Entscheidung der Vorinstanz, des Finanzgerichts Köln vom 16.6.2021 (Az. 9 K 1260/19). Eine steuerbare Lieferung, so der BFH, erfordere, dass der Unternehmer die Verfügungsmacht an einem Gegenstand gegen Entgelt verschafft. Der Verbrauch eigenerzeugten Stroms bei zuschlagsberechtigten KWK-Anlagen führe nicht zu einer Lieferung an den Netzbetreiber. Aus einer bloßen Vergütungsregelung folge nicht, dass der Zahlende Empfänger einer Leistung ist. Aus den Vorschriften des KWKG lasse sich keine Lieferung des Stroms vom Anlagen- an den Netzbetreiber ablesen. Mangels kaufmännisch-bilanzieller Einspeisung im Bereich des KWKG sei auch aus dem EEG nichts anderes ableitbar. Zudem könne auch Abschn. 2.5 Abs. 17 Sätze 2 bis 4 UStAE als lediglich norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, welche die Gerichte nicht binde, keine Lieferfiktion in Abweichung zum materiellen Recht begründen.

Problem für die Anlagen – wie auch die Netzbetreiber

Den Anlagenbetreibern ist zu raten, ihre Abrechnungen der KWK-Zuschläge zu prüfen und, falls Kürzungen erfolgt sind, bei den Netzbetreibern die Auszahlung des gekürzten Betrags einzufordern. Dies betrifft sowohl die laufenden als auch die vergangenen Abrechnungen bis an die Grenze der Verjährung.

Aus umsatzsteuerlicher Sicht ist abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf die Rechtsprechung des BFH reagiert. Vorbehaltlich einer Änderung des Anwendungserlasses bleiben die Finanzämter an die bisherige Auffassung einer Lieferfiktion gemäß Abschn. 2.5 Abs. 17 S. 2 bis 4 UStAE grundsätzlich gebunden. Zudem ist es möglich, dass die Finanzverwaltung im Rahmen eines Nichtanwendungserlasses anordnet, die Entscheidung des BFH über den konkreten Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Wird die Entscheidung des BFH hingegen im Bundessteuerblatt Teil II veröffentlicht, werden auch die Finanzbehörden die Entscheidung allgemein anwenden. Eine Veröffentlichung im BStBl. II ginge dann mit der Änderung des UStAE einher.

Für die Netzbetreiber ergibt sich in der Praxis damit folgendes Problem: Nach derzeit noch geltender Auffassung der Finanzverwaltung müssen sie eine umsatzsteuerbare und -pflichtige Leistung erklären.

Wir empfehlen daher dringend, den Sachverhalt mit der jeweiligen Finanzbehörde abzustimmen. Auch die Abstimmung mit dem Anlagenbetreiber ist vor dem Hintergrund einer möglichen zivilrechtlichen Auseinandersetzung anzuraten.

Solange sich die Finanzverwaltung nicht zur Rechtsprechung des BFH positioniert, sollten die Netzbetreiber die Bestandskraft der Umsatzsteuerbescheide möglichst im Wege des Einspruchsverfahrens hindern.

Ansprechpartner*innen Steuern: Rudolf Böck/Meike Weichel/Jakob Heise
Ansprechpartner*innen KWK; Wasser/Abwasser: Ulf Jacobshagen/Dr. Markus Kachel/Daniel Schiebold/Beate Kramer

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