Im Zeichen der Digitalisierung: 10. GWB Novelle tritt in Kraft und die Vertikal-GVO wird konsultiert
Die Modernisierung des Kartellrechts nimmt Gestalt an. In Deutschland trat am 19.1.2021 die 10. GWB-Novelle (GWB-Digitalisierungsgesetz) in Kraft und auf europäischer Ebene wird die Konsultation zur Reform der Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen (sog. Vertikal-GVO – VO Nr. 330/2010) fortgeführt. Triebfeder für beide Vorhaben sind die Herausforderungen der New Economy im online- und plattformgestützten Waren- und Dienstleistungshandel.
Neues GWB
Viele Überraschungen zu den Inhalten der GWB-Novelle (wir berichteten) hat es auf den letzten Metern des Gesetzgebungsprozesses nicht mehr gegeben.
Herzstück der Novelle und Namenspatron ist die neue Missbrauchskontrolle nach § 19a GWB für Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb (UmüB). Dort sind zwei Verbote neu hinzugekommen. Einem UmüB ist es danach untersagt:
- Maßnahmen zu ergreifen, die andere Unternehmen in ihrer Geschäftstätigkeit auf Beschaffungs- oder Absatzmärkten behindern, wenn die Tätigkeit des Unternehmens für den Zugang zu diesen Märkten Bedeutung hat und
- für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile zu fordern, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen.
Um das Verfahren zu beschleunigen, wird künftig im ersten und letzten Rechtszug allein der BGH über die Rechtmäßigkeit kartellbehördlicher Maßnahmen aufgrund von § 19a GWB entscheiden (§ 73 Abs. 5 GWB). Im Digitalbereich wird spannend sein, wie sich das neue Kartellrecht in den europäischen Rechtsrahmen einfügt. Die Europäische Kommission hat erst im Dezember ihren Vorschlag für einen Digital Markets Act veröffentlicht, der auf eine Ex-ante-Regulierung von Plattformen (z.B. Suchmaschinen, soziale Netzwerke und Betriebssysteme) zielt. Welche Rolle das Bundeskartellamt (BKartA) neben einer Regulierungsbehörde langfristig spielen wird, bleibt daher abzuwarten.
Kleine Änderungen gab es noch in der Fusionskontrolle: Die Inlandsumsatzschwellen (§ 35 Abs. 1 und 1a GWB) sind von 25 Mio. Euro und 5 Mio. Euro auf 50 Mio. Euro und 17,5 Mio. Euro gestiegen. Ferner gibt es Sonderregelungen für Krankenhausfusionen (§ 186 Abs. 9 GWB).
Verlängerung und Reform der Vertikal-GVO
Für den Wirtschaftsverkehr wichtig ist zudem die anstehende Verlängerung und Reform der Vertikal-GVO, die sektorübergreifend kartellrechtliche Freiräume schafft und in ihrer jetzigen Form am 31.5.2022 ausläuft.
Absprachen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, die – auf allen Ebenen der Produktions- oder Vertriebskette – den Bezug, den Verkauf oder Weiterverkauf von Waren betreffen, sind nach geltendem europäischem Recht in der Regel verboten (Art. 101 Abs. 1 AEUV). Es gibt aber Ausnahmen: Art. 101 Abs. 3 AEUV erlaubt solche Absprachen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder Verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dabei den Wettbewerb auszuschalten.
Die Vertikal-GVO konkretisiert diese Ausnahmen. Parallel hat die Europäische Kommission Leitlinien für vertikale Beschränkungen erlassen. Diese – rechtlich unverbindlichen – Leitlinien sollen dabei helfen, die Vertikal-GVO auszulegen und anzuwenden. Bereits im November 2018 hat die EU-Kommission eine Evaluierung der bestehenden Regeln eingeleitet, um zu überprüfen, ob eine Verlängerung der Verordnung notwendig ist und wenn ja, wie diese ausgestaltet werden müsste. Der Evaluationsbericht wurde am 8.9.2020 veröffentlicht.
Evaluation und Konsultation
In ihrer Evaluierung kommt die Kommission zwar zu dem Schluss, dass die Regeln nach wie vor von großer Relevanz für die Unternehmen sind, die rasanten Veränderungen der Digital- und Plattformökonomie sorgen allerdings für Anpassungsbedarf. Vor allem der Online-Handel hat sich als zusätzlicher und bedeutender Vertriebskanal etabliert, wobei der Online-Direktvertrieb von Waren Transaktionskosten verringern und mehr Transparenz herstellen kann. Gerade auch in der Pandemie kommt dem Online-Handel größte Bedeutung zu. Es ist daher absehbar, dass sich der digitale Vertriebsweg in Zukunft nicht nur verstetigen, sondern weiter ausbauen wird.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Es sind durch eben diese modernen Vertriebswege neue Arten von wettbewerbsverzerrenden Absprachen zu beobachten. Sie lassen sich vor allem auf Online-Marktplätzen, bei Internetwerbung sowie bei Preisparitätsklauseln für den Einzelhandel finden. Hierauf möchte die Kommission reagieren und entsprechende Regelungen in die Vertikal-GVO aufnehmen.
Nach der Evaluation führt die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren durch. Sie veröffentlichte eine Folgenabschätzung, welche die große Anzahl an Stellungnahmen berücksichtigt, die eingegangen sind. Neben den möglichen Auswirkungen behandelt sie auch alternative Lösungen. Aktuell können betroffene Unternehmen wieder bis zum 26.3.2021 Stellung zu der Folgenabschätzung beziehen.
Blockfreistellung und Klimaschutz?
Die Vertikal-GVO hat sich innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte fest etabliert. Die Veränderungen in der Geschäftswelt machen eine Anpassung der Bestimmungen aber zwingend notwendig. Es zeichnet sich bereits ab, dass die Kommission auch die Anliegen der Onlinebranche wahrnimmt, da sie in ihren alternativen Lösungsmöglichkeiten auch von einer Blockfreistellung für Online-Unternehmen spricht, die mit ausreichender Sicherheit die Voraussetzung des Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen. Die betroffenen Unternehmen könnten ihre Vertriebswege so flexibler gestalten.
Die Novellierung der Vertikal-GVO bietet zudem die Chance, die wachsende Rolle von Vereinbarungen zu berücksichtigen, die Nachhaltigkeitsziele im Einklang mit den politischen Zielen des Europäischen Green Deal verfolgen. Auch hier bleibt spannend, ob und inwieweit die Kommission Ausnahmen für „grüne Unternehmensvereinbarungen“ schafft. So könnte zum Schluss auch noch das Kartellrecht seinen eigenen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Ansprechpartner*innen: Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch
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