Konzessionsvergabe: BGH-Urteilsgründe bringen Klärung – aber nicht genug
Wie muss eine Kommune das Auswahlverfahren gestalten, wenn sie Strom- und Gaskonzessionen neu vergeben will? Und was passiert, wenn sie dabei Fehler macht? Mitte Dezember hatte der Bundesgerichtshof (BGH) dazu zwei Grundsatzurteile (wir berichteten) gefällt. Jetzt liegen die allseits mit Spannung erwarteten Entscheidungsgründe vor (Az. KZR 66/12 und KZR 65/12).
In den Verfahren ging es um zwei kommunale Unternehmen, die ein solches Ausschreibungsverfahren gewonnen hatten und von dem Altkonzessionär verlangten, ihnen die örtlichen Stromnetzanlagen in insgesamt 37 Gemeinden in Schleswig-Holstein zu übertragen. Dieser wehrte sich mit dem Einwand, die Gemeinden hätten in den jeweiligen Auswahlverfahren unzulässige Auswahlkriterien verwendet und damit ihn, den Altkonzessionär, unbillig in seinen Wettbewerbschancen behindert. Diesen Einwand brachte er aber erst im Klageverfahren vor – also Jahre nach der Konzessionsentscheidung.
Der BGH gab ihm dennoch Recht, wie bereits die Vorinstanzen. Auf Grund der fehlerhaften Auswahlverfahren seien die Klägerinnen nicht „neue Energieversorgungsunternehmen“ im Sinne des § 46 Abs. 2 Satz 2 EnWG geworden und hätten deswegen auch keinen Anspruch auf Übernahme der örtlichen Netzanlagen. Auch vertragliche Ansprüche auf Herausgabe der Netze, soweit vorhanden, helfen nicht: Sie geltend zu machen, sei vor dem Hintergrund der Verfahrensfehler im Konzessionsverfahren eine unzulässige Rechtsausübung.
Rechtssicherheit für Kommunen und Netzbetreiber
Mit den beiden Urteilen hat der BGH die Position von unterlegenen Bewerbern im Wettbewerb um die Strom- und Gaskonzessionen wesentlich gestärkt. Aber auch aus Sicht der Kommunen ist positiv zu vermerken, dass der BGH in seinen Entscheidungsgründen einige in der Praxis in den letzten Jahren umstrittene Fragen weitestgehend geklärt hat.
Erfreulich ist, dass der BGH die überaus strenge Rechtsprechung der Vorinstanzen insofern relativiert hat, als er die so genannten fiskalischen Kriterien nicht per se für unzulässig hält. So haben die Städte und Gemeinden auch bei der Vergabe qualifizierter Wegenutzungsrechte stets das Recht, die höchst zulässige Konzessionsabgabe zu verlangen. Detailliert, wie zuvor kein anderes Gericht, zählt der BGH weitere zulässige Auswahlkriterien auf: Konzessionsabgabe, Gemeinderabatt und Abschlagszahlungen darauf, Folgekosten, Endschaftsregelungen, Kaufpreisregelungen, Vertragslaufzeit, Auskunftsansprüche, Nebenleistungen im Rahmen des § 3 KAV, Netzsicherheit, Erdverkabelung, Leerrohre, kommunaler Einfluss sofern §-1-EnWG-Bezug, Informationsrechte, Mitwirkungs- und Konsultationsrechte, Beseitigung stillgelegter Anlagen, umweltverträglicher Netzbetrieb, Beratungsleistungen, Öffentlichkeitsarbeit, Kundenbüros, Netzstörungsstellen und Rechtsnachfolge.
Aus unserer Sicht sehr wichtig ist, dass der BGH erneut die bisher herrschende Meinung bestätigt, dass die Energieversorgung eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG ist. Die Gemeinden sind nach Ansicht des BGH nicht gehindert, ein eigenes Unternehmen mit den Netzbetriebsaufgaben zu betrauen, sofern sich dieses Unternehmen im Wettbewerb mit den anderen Bewerbern durchgesetzt hat. Dieser Wettbewerb hat auch in der heutigen entflochtenen Energielandschaft eine eigenständige Bedeutung. Er ergänzt die Netzentgeltregulierung und kann damit keineswegs – wie mitunter zu hören – als Anachronismus bezeichnet werden.
Die Karlsruher Richter teilen weiterhin mit, wie sie sich ein transparentes Auswahlverfahren vorstellen. So wird verlangt, dass Auswahlkriterien immer schriftlich und mit Gewichtung bekannt zu machen sind, wobei den Gemeinden gerade bei der Gewichtung ein eigener – aber gerichtlich weitgehend überprüfbarer – Beurteilungsspielraum zukommt. Speziell bei der Gewichtung ist darauf zu achten, dass die Ziele des § 1 EnWG in dem gebotenen Vorrangverhältnis stehen. Insbesondere das Ziel der Netzsicherheit dürfe nicht zu gering gewichtet werden.
Für die Rechtssicherheit von Auswahlverfahren besonders bedeutsam ist die Aussage des BGH, dass Verfahrensfehler keineswegs immer die Konzessionsentscheidung nichtig machen. Wenn nämlich zweifelsfrei feststeht, dass sich die Fehler auf die Auswahlentscheidung nicht ausgewirkt haben, fehlt es an der nötigen Kausalität.
Wir entnehmen den Ausführungen des BGH ferner, dass die von ihm aufgestellten Grundsätze nur solange gelten sollten, wie das Netz noch nicht übertragen und der Netzbetrieb noch nicht aufgenommen ist. Den zum Teil in wissenschaftlichen Beiträgen vorgetragenen Überlegungen von „Netzrückübertragungen“ ist damit die Grundlage entzogen. Zudem kommt wohl eine Rüge des unterlegenen Bewerbers dann nicht mehr in Betracht, wenn dieser ausreichend Gelegenheit hatte, seine Rechte im Konzessionsverfahren nach Beschlussfassung, aber noch vor Unterzeichnung des Konzessionsvertrages, zu wahren. Der BGH verweist dazu auf den Rechtsgedanken der Regelung des § 101a GWB, welche für das GWB-Vergabeverfahren eine Mitteilungs- und Wartepflicht von 15 Kalendertagen bei postalischem Versand vorsieht, vor deren Ablauf eine Vertragsunterzeichnung zu unterbleiben hat.
Kritik an den Entscheidungsgründen
So erfreulich diese Bekenntnisse zu Rechtssicherheit und Vertrauensschutz sind – gerade aus dieser Perspektive ist es nicht überzeugend, wenn die Bundesrichter hier zugleich jedwede Rügeobliegenheiten – ob aus dem Verfahrensbrief, aus schuldrechtlichen Nebenpflichten oder aus Treu und Glauben – verneinen. Der BGH lässt dabei zum Teil ganz erhebliche Umstände unerwähnt, welche die jeweils sehr späte Ausübung der Verfahrensrüge als unzulässig erscheinen lassen.
Wie bereits die Vorinstanzen lehnt der BGH ein In-house-Privileg der Gemeinden entschieden ab und verlangt auch bei der Konzessionierung von Eigenbetrieben ein Auswahlverfahren. Die Auswahlentscheidung der Kommunen ist „vorrangig an Kriterien auszurichten, die die Zielsetzung des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisieren“. Die Norm des § 1 EnWG verlangt eine möglichst „sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche“ Strom- und Gasversorgung. Leider vermag auch der BGH nicht zu erklären, woher der geforderte „Vorrang“ stammt. Selbst wenn man die Gesetzesbegründung von 1998 – die explizit keine Auswahlkriterien vorgegeben hat – einschränkend interpretiert und ihr entnimmt, dass die Gemeinden in ihrer Entscheidung nicht völlig frei seien, ist dieser Vorrang der Gesetzesziele keineswegs zwingend für ein sachgerechtes Ergebnis.
Wenn der BGH in seinen Entscheidungsgründen mehrfach zwischen Auswahlkriterien und Leistungsbeschreibung unterscheidet, wird auch dies der Realität der Konzessionsvergabeverfahren nicht gerecht. Die geforderten Leistungen eines Netzbetreibers abschließend zu beschreiben, ist den Kommunen auf Grund der komplexen und durchregulierten Tätigkeit eines Netzbetreibers in der Regel nicht möglich. Offen bleibt nach den Urteilen des BGH, wie eine Gemeinde mit dem Fall umgehen soll, dass kein Anbieter ein der Leistungsbeschreibung entsprechendes Angebot abgibt.
Nicht zulassen will der BGH Auswahlkriterien, die die Vergabe der Konzession von der Gewährung von gesellschaftsrechtlichem Einfluss oder gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen an einer Netzgesellschaft abhängig machen. Der BGH verbietet derartige Beteiligungen aber auch nicht. Konzessionsbewerber aufgrund einer (ggf. auch optionalen) gesellschaftsrechtlichen Beteiligung der Gemeinde zu bevorzugen, ist jedoch nach der Rechtsauffassung des BGH in aller Regel nicht möglich.
Nahezu zynisch mutet der abschließende Befund des BGH gegen Ende seiner Entscheidungsgründe an: Danach war die damalige Rechtslage ungeklärt und deshalb fraglich, ob der vorliegend beklagte Altkonzessionär E.ON Hanse überhaupt die – jetzt vom BGH festgestellten – Mängel des Verfahrens als solche erkennen musste. Eine für das Verständnis der beiden Urteile aufschlussreiche Conclusio, dass von kleinen Kommunen bessere Kenntnisse des Energierechts verlangt werden als vorliegend von dem E.ON-Konzern.
Ausblick
Jetzt liegt der Ball im Feld des Gesetzgebers: Er muss die Konzessionsverfahren rechtssicher machen und klarstellen, welche Rügeobliegenheiten die Beteiligten haben. Den Gemeinden würde es überdies leichter fallen, sich im Rahmen der Energiewende zu engagieren, wenn ihnen –unbeschadet der gesetzlichen Anforderungen des kommunalen Wirtschaftsrechtes und des Genehmigungsgebotes für die Aufnahme des Netzbetriebes – ein In-house-Privileg im EnWG eingeräumt werden würde, wie dies auch die aktuelle europäische Konzessionsrichtlinie ausdrücklich zulässt. Ferner bedürfen die Umstände der bei einem Konzessionswechsel anstehenden Netzübergabe weiterhin einer raschen Klärung. Dazu schweigen leider die Entscheidungsgründe, obwohl der Netzkaufpreis und der umstrittene Anlagenumfang (Problematik der gemischt-genutzten Anlagen) der eigentliche Grund für die Klagen gewesen sind. Bis das Gesetz geändert ist, gilt es für die Kommunen und die neukonzessionierten Netzbetreiber, laufende oder abgeschlossene Verfahren auf die Maßgaben des BGH hin zu überprüfen und notfalls Anpassungen oder sogar die Wiederholung einzelner oder mehrerer Verfahrensabschnitte zu bedenken.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Christian Theobald/Astrid Meyer-Hetling/Matthias Albrecht
Weitere Ansprechpartner: Axel Kafka/Dr. Holger Hoch
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