Bremst der EuGH den Windkraftausbau in Deutschland? – Ein Wort der Entwarnung

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In einem Urteil vom 4.3.2021 (Rs. C‑473/19 und C‑474/19) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) klargestellt, dass die Vogelschutzrichtlinie (RL 2009/147/EG) es verbietet, sog. Allerweltsarten zu töten oder zu fangen. Befürchtungen, dass die Entscheidung den ohnehin stockenden Ausbau der Windenergie an Land in Deutschland weiter ausbremsen könnte, sind aber unbegründet.

Komplexe Rahmenbedingungen

Windenergie und Photovoltaik sollen den größten Beitrag zur Energiewende im Strombereich leisten (wir berichteten). Komplexe rechtliche Rahmenbedingungen beeinflussen, ob der Ausbau der Windenergie gelingen wird. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bestimmt etwa über die Förderkulisse im Rahmen der Ausschreibungen und enthält seit Anfang des Jahres eine Regelung zur Akzeptanzsteigerung (wir berichteten). Seit letztem Jahr ermöglicht das Baugesetzbuch (BauGB) den Ländern, die Privilegierung von Windenergieanlagen an die Einhaltung eines Mindestabstandes von bis zu 1.000 m zu Wohngebäuden zu knüpfen (wir berichteten). In Bayern muss der Abstand sogar das Zehnfache der Anlagenhöhe betragen (wir berichteten). Das Investitionsbeschleunigungsgesetz, das ebenfalls im letzten Jahr in Kraft getreten ist, soll Klageverfahren gegen Windenergieanlagen beschleunigen (wir berichteten). Nach dem Urteil des EuGH wurde die Befürchtung geäußert, dass dadurch der Ausbau der Windenergie in Deutschland erschwert wird.

Das Verfahren vor dem EuGH

Entschieden hat der EuGH in einem Vorlageverfahren eines schwedischen Gerichts, in dem es um eine Abholzungsanmeldung für einen Kahlschlag (die Entfernung fast aller Bäume) in einem Waldgebiet ging. Umstritten waren in dem schwedischen Verfahren die Auswirkungen der forstwirtschaftlichen Maßnahme auf eine Reihe von Vogelarten, von denen mehrere nach Anhang I der Vogelschutzrichtlinie geschützt sind. Auch der nach der FFH-Richtlinie (RL 92/43/EWG) geschützte Moorfrosch kommt in dem Waldgebiet vor.

Art. 5 Vogelschutzrichtlinie verbietet unter anderem das absichtliche Töten oder Fangen von Vögeln und die absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von Nestern oder Eiern. Das schwedische Gericht hat dem EuGH die Frage gestellt, ob diese Verbote nur für Vogelarten gelten, die nach Anhang I der Richtlinie geschützt oder sonst bedroht sind.

Der EuGH hat bekräftigt, dass Art. 5 Vogelschutzrichtlinie einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, welche die Verbote lediglich auf Arten anwendet, die nach Anhang I der Richtlinie geschützt oder sonst bedroht sind. Außerdem gelten die Verbote der FFH-Richtlinie auch dann, wenn der Handelnde die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart zwar nicht wollte, aber zumindest in Kauf genommen hat.

Die Generalanwältin hatte in ihren Schlussanträgen zwar vertreten, dass bei Allerweltsarten, denen man fast überall ständig begegnet, die Verbote einschränkend ausgelegt werden müssen. Darüber hat der EuGH aber nicht entschieden: Da das schwedische Recht nicht zwischen den unter die FFH-Richtlinie fallenden Arten und den unter die Vogelschutzrichtlinie fallenden Arten unterscheidet, war die Frage nicht entscheidungserheblich. Die Vogelschutzrichtlinie verbietet es den Mitgliedstaaten nämlich nicht, strengere Schutzmaßnahmen zu ergreifen, als die Vogelschutzrichtlinie fordert.

Keine Auswirkungen auf die deutsche Genehmigungspraxis

Die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG setzen die Vorgaben von Art. 12 FFH-Richtlinie und Art. 5 Vogelschutzrichtlinie in deutsches Recht um und gelten ohne Einschränkungen auch für alle europäischen Vogelarten einschließlich von Allerweltsarten. Daraus abgeleitet gilt auch in Deutschland, dass nicht nur Individuen geschützter Vogelarten, sondern Individuen aller europäischen Vogelarten dem Tötungsverbot unterfallen.

Die Windkrafterlasse der Bundesländer nehmen aber bereits jetzt stets sämtliche europäischen Vogelarten in den Blick, nicht allein geschützte Arten. So wird etwa der Graureiher (Ardea cinerea) schon bisher als kollisionsgefährdete Allerweltsart geschützt. Für die deutsche Genehmigungspraxis dürfte sich durch das Urteil des EuGH also nichts ändern.

Die Kommission ist jetzt gefragt

Allerdings sollte die Kommission ihre Mitteilung „Leitfaden zu Windkraftprojekten und den Naturschutzvorschriften der EU“ im Hinblick auf die verschärften Ausbauziele für Erneuerbare Energien in der EU überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Für den europäischen Green Deal und um die europäische Verpflichtung zur massiven Reduzierung der Treibhausgasemissionen unter dem Klimaschutzabkommen von Paris zu erreichen, ist es notwendig, die Erneuerbaren Energien kräftig auszubauen. Das gilt insbesondere auch für den Ausbau der Windenergie in Deutschland und insgesamt in der Europäischen Union.

In Deutschland gibt es bereits positive Signale einer koordinierteren Abstimmung zwischen den Windparkentwicklern und insbesondere den bedeutenden Naturschutzorganisationen, wie das „Thesenpapier zum naturverträglichen Ausbau der Windenergie“ aus dem Jahr 2020 zeigt.

Ansprechpartner*innen: Dr. Dörte Fouquet/Micha Klewar

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