Stuttgarter Verfahren: Alte Gesellschaftsverträge sollten angepasst werden

Schon 2009 löste die Erbschaftssteuerreform das Stuttgarter Verfahren zur Bewertung von nicht börsennotierten Unternehmensanteilen ab. Seitdem gilt das vereinfachten Ertragswertverfahren oder ein anderes branchenübliches nichtsteuerliches Bewertungsverfahren. In vielen Satzungen findet sich allerdings auch heute noch eine Ermittlung der Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters nach dem Stuttgarter Verfahren. Für die Gesellschaft oder den austretenden Gesellschafter kann dies einen gravierenden Nachteil darstellen.

Das Stuttgarter Verfahren

Beim Stuttgarter Verfahren handelt es sich um eine Sonderform des Übergewinnverfahrens. Zur Ermittlung des gemeinen Werts werden dabei der Vermögens- und der Ertragswert des Bewertungsobjektes aggregiert, um den im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Veräußerungspreis zu ermitteln. Im Zeitraum zwischen 1955 und 2008 wurde diese Methode insbesondere angewendet, um die steuerliche Bemessungsgrundlage für die Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer zu ermitteln.

Allerdings berücksichtigt dieses Verfahren zukünftige Cash Flows oder Erträge nicht, weshalb es aus betriebswirtschaftlicher Sicht schon lange abgelehnt wurde. Weitere Kritikpunkte sind die grobe Ausführung, die starre Methodik sowie das Verbot eines negativen Ertragshundertsatzes. Durch die Anwendung des Stuttgarter Verfahrens kann es ferner zu einem Missverhältnis zwischen dem ermittelten Wert und dem eigentlichen Verkehrswert kommen.

Erbschaftsteuerreform von 2009

Die Reform der Erbschaftsteuer 2009 wurde vor allem deshalb notwendig, weil das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das bis dahin gültige Gesetz mit seinem Urteil vom 7.11.2006 für verfassungswidrig erklärt hat (Az. 1 BvL 10/02). Es begründete seine Entscheidung hauptsächlich mit der gleichheitswidrigen Bewertung von Vermögensgegenständen, die unter anderem aus der Anwendung des Stuttgarter Verfahrens resultieren. Nach neuem Recht werden alle Güter mit ihrem gemeinen Wert bewertet, der entweder über das vereinfachte Ertragswertverfahren oder ein anderes branchenübliches nichtsteuerliches Bewertungsverfahren ermittelt werden kann. Im Vergleich zu Vermögensbestandteilen wie beispielsweise Immobilien oder Unternehmensvermögen führt dies in der Regel zu einer höheren Bewertung und insgesamt zu einer Bewertung, die näher am tatsächlichen Verkehrswert liegt.

Gesellschaftsverträge und Abfindungsregelungen

Für Gesellschaftsverträge spielt das dann eine Rolle, wenn eine Gesellschafterabfindung wegen eines Gesellschafterausschlusses oder einer Kündigung bevorsteht und der Gesellschaftsvertrag noch auf das Stuttgarter Verfahren verweist. Generell kann die Satzung auch Berechnungsverfahren und damit auch die Art und Höhe der Abfindung abweichend vom Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) regeln. Das Stuttgarter Verfahren ist also im Grunde gesellschaftsrechtlich zulässig, auch wenn dieses Verfahren steuerrechtlich verfassungswidrig ist. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart bestätigte diese Vertragsfreiheit in einem Urteil (Az. 14 U 3/14 und OLG Naumburg im Urt. v. 2.10.2006, Az. 2 U 14/06 (Hs)) vom 15.3.2017.

Wird das Stuttgarter Verfahren angewendet, unterscheidet sich in der Regel der ermittelte Wert von dem des Verkehrswerts. Für die Gesellschaft oder den austretenden Gesellschafter kann dies ein gravierender Nachteil sein. Dies sollte Anlass geben, eine andere Bewertungsmethode anzuwenden und die Satzung entsprechend anzupassen. Sollte der Abfindungsprozess bereits fortgeschritten sein, kann im Einzelfall das Stuttgarter Verfahren für unanwendbar erklärt und der Abfindungsbetrag entsprechend angepasst werden. Sowohl zu den individuellen Besonderheiten bezüglich einer Änderung des Gesellschaftsvertrags als auch einer Referenzbewertung für die Prüfung einer erheblichen Abweichung vom Verkehrswert bedarf es der Einschätzung von Experten.

Ansprechpartner*innen: Thomas Straßer/Tobias Sengenberger/David Klee

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