Die Energiewirtschaft tappt durch den Nebel der Digitalisierung

(c) BBH
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Dass sich die Branche verändert, darüber sind sich die Akteure der Energiewirtschaft einig. Dies ist jedenfalls der Eindruck, den man beim 11. Deutschen Energiekongress in München gewinnen konnte. Bei der Frage, welche Weichenstellungen in den nächsten Jahren notwendig sind, löst sich der Konsens allerdings auch schon wieder auf.

Wird es im Energy-only-Markt 2.0 gelingen, allein durch Preissignale das Verbraucherverhalten der volatilen Erzeugung anzupassen? Viele Referenten forderten dies direkt oder indirekt. Gleichzeitig ist kaum jemand davon überzeugt, dass das aktuelle Marktdesign ausreichende Preissignale aussendet; noch weiter entfernt sind selbstregulierende Mechanismen. Wie löst man dieses Paradoxon auf?

Insbesondere von dem „Allheilmittel“ Digitalisierung sollte man sich keine Wunder erwarten. Denn Vernetzung und Automatisierung können fehlende Marktmechanismen nicht ersetzen. So verwies Dr. Marie-Luise Wolff-Hertwig, Vorstandsvorsitzende der Entega AG, als Beispiel aktueller Digitalisierungsstrategien auf die Vernetzung der Klimaanlagen im Silicon Valley. Der Versuch, dieses Modell auf bayerische Brauereien zu übertragen und deren Kühlaggregate als Regelenergie zu nutzen, ist allerdings schwer nachvollziehbar. Nach einer analogen Berechnung für eine große deutsche Lebensmittelhandelskette kommt zu folgendem Ergebnis: Wenn man Energie für Tiefkühlung von 20.000 kWh im Jahr, gleichmäßig auf 365 Tage verteilt, pro Tag in die 32 günstigsten Viertelstunden des Spotmarktpreises des Tages verlagern würde, dann würde dies nur knapp 50 Euro Stromkosten sparen oder die reinen Energiekosten um 6,3 Prozent reduzieren. Das entspricht nicht mehr als 0,1 Prozent der Gesamtstromkosten – und ist damit völlig vernachlässigbar.

Trotzdem: für die Energieversorger von morgen ist Datenkompetenz Pflicht. Das bedeutet wiederum, dass Prozesse und IT für erfolgreiche Produkte neu definiert und flexibel eingerichtet werden müssen. Die aktuell vorhandenen, eher starren Legacy-Systeme sind dafür kaum geeignet. Methoden wie „Scrum“ oder Slogans wie „sich voran scheitern“ – sprich: den Mut, mit neuen und revolutionären Vorgehensweisen auch einmal scheitern zu dürfen – werden als „Kulturgut“ der Digitalisierung gehandelt.

Klar ist: eindeutige und nachhaltige Lösungen liegen nicht auf der Hand. Die Energiewirtschaft sucht nach Lösungen im Nebel der Digitalisierung. Dies ist sicher auch einer der Gründe, warum Geschäftsführer der Stadtwerke eher zurückhaltend reagieren und abwarten. Lieber verteidigt man bestehende Kundenpotentiale und Marktanteile als eine offensive Eroberungsstrategie zu entwickeln, um neue Marktanteile zu gewinnen – diese Ansichten hörte man häufig beim 11. Energiekongress in München. Was im Moment fehlt ist ein Lotse durch den Nebel oder zumindest eine gemeinsame Vorstellung, wo es langgeht und wie sich die Zukunft erfolgreich gestalten lässt.

Ansprechpartner: Dr. Andreas Lied

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