Fusion von E.ON/RWE: Weitere Nichtigkeitsklagen eingereicht
Dass die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt die Fusion von RWE und E.ON freigegeben haben, hat viele verwundert: Dieser Deal wird das Gesamtgefüge des deutschen Energiemarkts nachhaltig verändern und kann verheerende Folgen für den intakten Wettbewerb im liberalisierten Energiemarkt haben (wir berichteten). Eine Reihe von Unternehmen hatte – begleitet durch Becker Büttner Held – deshalb bereits im Mai 2020 Nichtigkeitsklagen vor dem Europäischen Gericht (EuG) eingereicht (wir berichteten). Nun haben sie nachgelegt.
Die erste Klagerunde
Im Laufe des Jahres 2019 haben die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt die Fusion von RWE und E.ON in mehreren Teilakten freigegeben, ohne dass die Konzerne substanzielle, wettbewerbssichernde Zusagen einräumen mussten.
Die erste Klagerunde aus dem vergangenen Jahr richtete sich gegen die Freigabe zur Bündelung der konventionellen und regenerativen Stromerzeugung bei RWE (Fall M.8871, „RWE/E.ON Assets“), welche die Kommission ohne vertiefte Prüfung erteilt hatte. Flankiert wurde sie durch die Billigung des Bundeskartellamts zum Einstieg der RWE bei E.ON als mit 16,67 % bei weitem größter Einzelaktionär Die Bundesregierung war in dem Rechtsstreit der Kommission und damit den Fusionsparteien zur Seite gesprungen, was nicht nur im Bundestag die Frage nach seiner politischen Dimension aufwarf (wir berichteten).
Die zweite Klagerunde
Die neue Klagerunde betrifft einen weiteren Teil des eng verknüpften, zum Wohle beider Seiten gründlich austarierten Gesamtgeschäfts: die Übertragung der innogy mitsamt Vertrieb, Netz und innovativem Geschäft von RWE auf E.ON (Fall M.8870, „E.ON/innogy“).
Die Fusion von E.ON und RWE stellt den Energiemarkt grundlegend auf den Kopf, und zwar auf der gesamten Wertschöpfungskette, so die Auffassung der Kläger. Sämtliche wesentlichen Erzeugungsassets liegen zukünftig bei RWE, die sowohl in der konventionellen als auch in der Erneuerbaren-Erzeugung die Nr. 1 in Deutschland (geworden) sind. Es gebe hier keinen einzigen Wettbewerber, der der marktbeherrschenden RWE das Wasser reichen kann – was die vergangenen Marktmachtberichte des Bundeskartellamts auch bestätigten (wir berichteten hier und hier). Im Bereich Netze, Vertrieb und innovatives Geschäft wird die Marktmacht bei E.ON weiter gebündelt. E.ON wird im Verteilnetzbereich „Herrin der Flächen“, dominiert die Endkunden-Märkte für Strom und Gas und hat mit einem hierzulande mehr als verdoppelten Kundenstamm Zugang zu einer Unmenge an Daten, die für das innovative Geschäft die Grundlage bilden. Der zersplitterte Rest des Marktes, dessen Akteure nicht im Ansatz die Größe, flächige Präsenz und Finanzkraft von E.ON erreichen, kann dem wenig entgegensetzen.
Es kommt hier also zu einer Konzentration von Marktmacht, die es im liberalisierten Energiemarkt so noch nicht gegeben haben dürfte. Hat die Kommission den Sachverhalt etwa nicht umfassend genug geprüft? Oder die Folgen schlicht unterschätzt? Was den Bereich Erzeugung betrifft, so ist die Kommission im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens jedenfalls nicht in die vertiefte Prüfung (die sogenannte Phase II) eingestiegen. Den Bereich Netze, Vertrieb und innovatives Geschäft gab die Kommission wiederum – immerhin in Phase II – mit nur sehr marginalen Auflagen frei.
Im Erfolgsfall: erneute Prüfung
Nun muss sich das EuG ein Bild machen. Folgt das Gericht den Ausführungen der Kläger, werden die Freigabeentscheidung(en) der Kommission zurückgenommen. Die Kommission muss die Fusion dann unter aktuellen Marktverhältnissen erneut prüfen, wäre aber je nach rechtlicher Bewertung und Maßgabe des Gerichts unter Umständen daran gehindert, das Vorhaben unverändert freizugeben. Das hieße letztlich, die Fusion wäre – gegebenenfalls in Teilen – rückgängig zu machen.
Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau