Heute vor 20 Jahren in der Energiewirtschaft

Am 31.1.2003 wurde dem Zusammenschluss zwischen E.ON und der Ruhrgas, dem seinerzeit bedeutsamsten Strukturvorhaben auf dem deutschen Energiemarkt, der Weg geebnet. Nach langwierigen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit mehreren Wendungen einigten sich die Fusionsparteien mit einer Gruppe von Energieversorgern, die sich gegen den Zusammenschluss gewendet hatten, auf eine vergleichsweise Lösung. Der spektakuläre Fall und das heutige Jubiläum sind Anlass für einen Rückblick auf die Zeitgeschichte und einen Blick auf Entwicklungen und Parallelen im Hier und Jetzt.

Geburtsstunde nationaler Energiechampions: die Fusion E.ON/Ruhrgas

Ende der 1990er/Anfang der 2000er-Jahre befand sich die Energiewirtschaft in einer Phase des strukturellen Umbruchs. Nach Aufhebung der früheren Gebietsmonopole und Liberalisierung der Energiewirtschaft 1998 entwickelte sich im Endkundengeschäft ernsthafter Wettbewerb. Kleinere Energieversorger begannen allmählich, sich handelsseitig von den großen Verbundunternehmen zu emanzipieren. Gegenläufig zu dieser Entwicklung kam es zu einer unternehmerischen Konsolidierung an der Spitze der deutschen Energiewirtschaft. Die erst Mitte 2000 aus der VEBA und der VIAG hervorgegangene E.ON, der mit RWE und EnBW seinerzeit weitaus potenteste Akteur im deutschen Energiemarkt, verständigte sich mit dem größten Gasimporteur Ruhrgas darauf, das Energiegeschäft beider Seiten zusammenzulegen.

Diese Integration beider Großkonzerne brachte eine damals beispiellose Konzentration des Marktes mit sich. Die dadurch absehbaren wettbewerbsrechtlichen Probleme veranlassten das Bundeskartellamt am 26.2.2002, die Fusion zu untersagen. Politisch aber wurde der Deal unter dem Leitgedanken nationaler Champions goutiert. Entgegen dem anderweitigen Votum der Monopolkommission (im 34. Sondergutachten vom 13.5.2002), die als Folge des Deals auch die Gefahr einer wachsenden Abhängigkeit von Russland adressierte und auf die stattdessen notwendige Diversifizierung des Gasimports verwies, wurde die Fusion über eine Ministererlaubnis nach § 42 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) am 5.7.2002 unter dem damaligen Wirtschaftsminister Werner Müller gebilligt. Maßgeblich aus ministerialer Sicht waren die Gemeinwohlvorteile, die man sich aus Verbesserungen bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, der Versorgungssicherheit, dem Erhalt von Arbeitsplätzen und dem Klima- und Umweltschutz versprach.

Gegen die Ministeranordnung wendete sich eine Reihe Versorgerkonkurrenten gerichtlich, per Beschwerde und zusätzlich auf dem Eilrechtsweg. Das Oberlandesgericht Düsseldorf erkannte die wettbewerbliche Dimension und Dringlichkeit und stoppte das Vorhaben wegen erheblicher Verfahrensfehler am 11.7.2002 und am 25.7.2002, indem es die aufschiebende Wirkung der Beschwerden gegen die Ministererlaubnis anordnete. Die „Nachbesserung“ des Wirtschaftsministeriums beseitigte weder die inhaltlichen Wettbewerbsbedenken gegen den Deal noch die gerichtlich angeordnete aufschiebende Wirkung der Beschwerde. So sprach sich die Monopolkommission erneut gegen des Vorhaben aus (im 35. Sondergutachten vom 5.9.2002) und auch das OLG Düsseldorf bekräftigte in weiteren Entscheidungen vom 18.9.2002 und 16.12.2002, dass das Vorhaben bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht umgesetzt werden darf.

Kurz bevor das Gericht am 31.1.2003 eine Entscheidung verkünden sollte, einigten sich die Fusionsparteien mit den Beschwerdeführern auf strukturelle Nachbesserungen und individuelle Zugeständnisse. Daraufhin wurden die Beschwerden zurückgenommen und die (nachgebesserte) Ministererlaubnis wurde bestandskräftig.

Rivalität und Fall der Energiechampions

Nach gelungener Integration der Ruhrgas konnte E.ON auf eine für sie vielversprechende Zukunft blicken, die letztlich nur von der Frage geprägt war, ob sich der Konzern vor dem Dauerkonkurrenten RWE als Nr. 1 im deutschen Energiemarkt etablieren könnte. Insbesondere das lukrative Erzeugungs- und Handelsgeschäft mit einem breiten Portfolio aus großen Atom-, Kohle- und Gaskraftwerken sowie verlässliche Einnahmen aus den Netz- und Vertriebsaktivitäten verschafften beiden Häusern einen festen Stand. Diese Entwicklungen erreichten ab Mitte der 2000er-Jahre ihren Höhepunkt und manifestierten sich besonders deutlich in der Stromerzeugung, und zwar mit der Feststellung duopolistischer Marktbeherrschung von E.ON und RWE seitens des Bundeskartellamts.

Spätestens mit Beginn der 2010er-Jahre wendete sich das Blatt für E.ON und RWE, und das Konzerngeschäft kriselte zusehends. Das lag vor allem daran, dass durch den Ausbau und die Marktintegration erneuerbarer Energien die Preise und Erlöse an den Stromgroßhandelsmärkten gesunken waren, dass mit dem Reaktorunglück von Fukushima der endgültige Ausstieg aus der Nuklearerzeugung besiegelt wurde und sich folglich die Frage (der Finanzierung) des Rückbaus stellte und dass nicht zuletzt konzernintern der frühe Einstieg in das zukunftsträchtige, dezentrale Grünstromgeschäft versäumt wurde.

Ab 2015 gingen E.ON und RWE ihre Neustrukturierung an: E.ON gliederte hierfür das konventionelle Erzeugungs-, Handels- und Speichergeschäft erst aus und verkaufte es an die finnische Fortum. Unter dem etablierten Firmennamen wurde das Netz- und Vertriebsgeschäft ebenso wie das EE-Geschäft fortgesetzt. RWE ging den umgekehrten Weg, behielt also das konventionelle Erzeugungs- und Handelsgeschäft unter eigenem Dach und gliederte die weiteren Netz-, Vertriebs- und EE-Aktivitäten in die innogy aus.

Wiedergeburt der Energiechampions

Anfang 2018 schmiedeten E.ON und RWE den Plan, ihre Marktpositionen und ihr unternehmerisches Engagement in den Wertschöpfungsstufen aufzuteilen, anstatt sich aneinander aufzureiben. RWE sollte mit dem Erwerb zusätzlicher Nuklear- und EE-Kapazitäten der E.ON alle Kraft in den Ausbau der Marktführerschaft in der Stromerzeugung stecken, während E.ON durch Übernahme der RWE-Tochter innogy ihr Standing als unangefochtenes Powerhouse im Netz- und Endkundengeschäft absichern sollte. Das i-Tüpfelchen auf bzw. das Siegel unter der langfristigen Marktaufteilung war der 16,67-Prozent-Einstieg der RWE als größte Anteilseignerin bei E.ON.

Die von den Parteien selbst als „Jahrhundertdeal“ bezeichnete Fusion wurde vom Kapitalmarkt und der Politik wohlwollend aufgenommen, stieß jedoch auch auf breite Kritik aus der Energiewirtschaft. Diese nahm zu als sich abzeichnete, dass auch die prüfenden Behörden, die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt, den Deal im Rahmen isolierter Teilprüfungen absegnen würden. Während zugunsten der RWE der Erzeugungsteil des Deals am 26.2.2019 von der Europäischen Kommission im Verfahren M.8871 freigegeben wurde und parallel dazu auch das Bundeskartellamt gegen den deren Einstieg bei E.ON im Verfahren B8 – 28/19 keine Bedenken anmeldete, wurde die exklusive Zuweisung des Netz- und Endkundengeschäfts der innogy an E.ON – nach näherer Prüfung, aber ohne substanzielle Auflagen – im Verfahren M.8870 am 17.9.2019 gebilligt.

Eine Gruppe namhafter Energieversorger wollte sich mit den absehbaren Folgen der Marktaufteilung der deutschen Energiechampions nicht abfinden (viele thematisch passende BBH-Blog-Artikel finden Sie in unserer Linksammlung im Anschluss). Sie klagte im Mai 2020 und Januar 2021 gegen die Freigaben der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Gericht (EuG), ungeachtet gegenteiliger politischer Intervention und Positionierung der Bundesregierung im Verfahren. Nach erster mündlicher Verhandlungsrunde zum Fall M.8871 im Juni 2022 und noch ausstehender mündlicher Verhandlung im Fall M.8870 dürfen die Kläger im laufenden Jahr 2023 auf Klarheit hoffen, ob nach Auffassung des EuG die Fusionsprüfung korrekt ablief.

Der Energiemarkt heute

Durch die Herausforderungen der Corona-Pandemie und den Ausbruch des Ukraine-Krieges mit ihren zahlreichen ökonomischen Auswirkungen sind die spektakulären Strukturveränderungen am deutschen Energiemarkt, die mit der Marktaufteilung zwischen E.ON und RWE einhergingen, in den Hintergrund getreten. Die Geister der 20 Jahre alten Fusionsfreigabe E.ON Ruhrgas sind aber nach wie vor präsent. Die von der Monopolkommission im Rahmen der Ministererlaubnis thematisierte Gefahr der Abhängigkeit von Gasimporten aus Russland hat sich in dramatischer Weise realisiert – mit bekanntlich gigantischen Mehrkosten, volkswirtschaftlichen Schäden und einem erheblichen Engagement Deutschlands zum Erhalt der Versorgungssicherheit auf verschiedenen Stufen der Wertschöpfung und Lieferketten.

Und was ist mit den Energiechampions E.ON und RWE selbst? Diese konnten im Windschatten der geopolitischen Entwicklungen ihre Position im deutschen Energiemarkt stärken und sich für die anstehende Transformation zur dekarbonisierten Gesellschaft rüsten. Wenn, ja wenn, nicht das EuG die Rechtmäßigkeit und den Bestand der Marktaufteilung nochmals in Frage stellt…

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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