Konzessionsvergaben: Alles klar durch BGH? Bundeskartellamt verpflichtet Stadt Titisee-Neustadt zur Wiederholung des Konzessionsverfahrens
Das Bundeskartellamt (BKartA) hat am 29.1.2015 die Vergabe der Wegerechte durch die Stadt Titisee-Neustadt für rechtswidrig erklärt. Die Stadt muss jetzt ihr Konzessionsverfahren erneut durchführen, obwohl das Stromversorgungsnetz bereits im Jahr 2012 von dem durch den Gemeinderat ausgewählten Neukonzessionär Energieversorgung Titisee-Neustadt GmbH übernommen wurde. Nach der vom BKartA veröffentlichten Pressemitteilung habe die Stadt „ihre marktbeherrschende Stellung missbraucht, indem sie ein diskriminierendes Auswahlverfahren durchgeführt, einen bestimmten Bieter einseitig ohne sachlichen Grund bevorzugt, unzulässige und rechtswidrige Auswahlkriterien verwendet sowie gegen den Geheimwettbewerb und das Nebenleistungsverbot verstoßen hat“. Die Stadt Titisee-Neustadt kann gegen den Beschluss noch Beschwerde einlegen. Die Stadt Titisee-Neustadt ist damit eine weitere unter zahlreichen Kommunen, deren Entscheidung über die Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen rechtlich beanstandet wurde.
Erhobene Kommunalverfassungsbeschwerde hilft vorerst nicht
Die Stadt hatte beim BKartA vergebens beantragt, das Verfahren auszusetzen, um den Ausgang einer Kommunalverfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) abzuwarten. Mit dieser Beschwerde will die Stadt erreichen, dass Karlsruhe feststellt, dass Kommunen als Ausdruck ihrer kommunalen Selbstverwaltung eine freie Systementscheidung treffen können, ob sie die örtlichen Versorgungsnetze selbst betreiben oder die Konzession an Dritte vergeben möchten.
Das BKartA ließ sich indessen nicht auf diese Argumentation ein. Die Gerichte seien sich bislang einig, dass die kommunale Selbstverwaltungsgarantie im Grundgesetz (GG) nicht verletzt sei, so das BKartA. Das BVerfG habe eine Beschwerde der Stadt Heiligenhafen gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2013 nicht zur Entscheidung angenommen hat. Daher gebe es keinen Grund, das Verfahren auszusetzen.
Die betroffene Stadt Titisee-Neustadt hält dies nach aktuellen Medienberichten für falsch, wendet sich die Stadt mit der Kommunalverfassungsbeschwerde doch unmittelbar gegen die stark vergabe- und wettbewerbsrechtlich geprägte Rechtsprechung.
Konzessionsvergabe: „Systementscheidung“ oder nicht?
Ob (und wann) das BVerfG sich mit den durch die Stadt aufgeworfenen Fragen befassen wird, bleibt abzuwarten. Auch wenn das BVerfG die damalige Verfassungsbeschwerde der Stadt Heiligenhafen nicht zur Entscheidung angenommen hat, wäre eine Befassung des Gerichts wünschenswert. Der BGH hatte in seinen Entscheidungen durchaus Möglichkeiten aufgezeigt, den kommunalen Einflusses auf den künftigen Netzbetrieb vor Ort zu berücksichtigen. Aber die Instanzgerichte hatten diese Möglichkeiten in fraglicher Weise eingeschränkt.
Gleichzeitig steht das Thema auch auf der Agenda des Gesetzgebers, der sich derzeit mit einer Reform der für Konzessionsvergaben einschlägigen Vorschrift des § 46 EnWG befasst. Erst am 30.1.2015 befasste sich der Deutsche Bundestag mit einem Antrag der Fraktion DIE LINKE (BT-Drs. 18/3745), nach dem Kommunen selbst entscheiden können sollten, wie und von wem die örtlichen Versorgungsnetze betrieben werden. Der Antrag fordert auch, im Gesetz ausdrücklich klarzustellen, dass Inhouse-Vergaben möglich sind. Die Plenardebatte (S. 7962) zeigte, wie kontrovers dieses Thema derzeit noch diskutiert wird.
Und wie geht’s jetzt weiter?
Eine berechtigte Frage. Denn in den kommenden Jahren stehen bundesweit noch tausende Neuvergaben von Strom- und Gaskonzessionen an. Für zahlreiche Kommunen besteht akuter Handlungsbedarf. Aber auch für Energieversorgungsunternehmen, die die sich jetzt bietende Chance nutzen wollen, ihre Netzgebiete auszuweiten oder zu arrondieren, wäre es fatal, wenn die derzeit bestehenden Rechtsunsicherheiten letztlich dazu führen würden, dass sich die derzeitigen Konzessionsinhaberschaften verfestigen.
Während die Frage, ob Strom- und Gaskonzessionen generell ausgeschrieben werden müssen, weiterbesteht, bleibt Kommunen somit schon aus zeitlichen Gründen derzeit kaum eine andere Möglichkeit, als die von der aktuellen Rechtsprechung entwickelten Verfahrensanforderungen einzuhalten.
Doch sind die rechtlichen Rahmenbedingungen, wovon das BKartA offenbar ausgeht, tatsächlich durch die Rechtsprechung des BGH geklärt?
Das BKartA geht davon deshalb aus, weil es so gut wie keine neuen Beschwerden gegen Konzessionsvergabeentscheidungen mehr erhalte. Das verwundert indes nicht: Denn der BGH entschied bereits Ende 2013, dass man Vergabefehler später dann nicht mehr geltend machen kann, wenn Kommunen unterlegene Bewerber in entsprechender Anwendung vergaberechtlicher Vorschriften mindestens 15 Kalendertage zuvor über den beabsichtigten Konzessionsvertragsabschluss informieren. Infolgedessen verlagerte sich die Überprüfung kommunaler Konzessionsvergabeentscheidungen von den Kartellbehörden auf die Gerichte, bei denen immer mehr einstweilige Verfügungen gegen beabsichtigte Konzessionsvertragsabschlüsse beantragt werden.
In diesem Zusammenhang getroffene Gerichtsentscheidungen kommen immer wieder zu überraschenden Ergebnissen. Erst jüngst hat das Landgericht Stuttgart (Urt. v. 2.10.2014, Az. 11 O 182/14) selbst den von der Energiekartellbehörde Baden-Württemberg veröffentlichten Musterkriterienkatalog (wir berichteten) als intransparent beanstandet. Auch im Übrigen werden zunehmend überzogene und für Konzessionsvergaben kaum sachgerechte Anforderungen an Konzessionsvergaben gestellt.
Umso mehr zeigt sich, wie dringend der Reformbedarf durch den Gesetzgeber ist. Die Entscheidung, wie ein effektiver Wettbewerb um Konzessionen aussehen soll und welche Rolle Kommunen und kommunale Energieversorgungsunternehmen dabei spielen, darf nicht den Gerichten überlassen werden, sondern muss bewusst politisch getroffen und durch klare gesetzliche Regelungen umgesetzt werden.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Christian Theobald/Oliver Eifertinger/Axel Kafka/Astrid Meyer-Hetling/Matthias Pöhl