BGH klärt zum LKW-Kartell Streitfragen des Kartellschadensrechts

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Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte der Bundesgerichtshof (BGH) die Entscheidungsgründe seines Urteils zum LKW-Kartell (v. 23.9.2020, Az. KZR 35/19). Es ist das erste, wenn auch vermutlich nicht das letzte Urteil des BGH, das sich mit Kartellschadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem LKW-Kartell auseinandersetzt. Für die Kartellbeteiligten ist es ein Pyrrhussieg.

Zum Hintergrund

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart und viele andere Gerichte in Deutschland sind von einer Schädigung der LKW-Erwerber durch überhöhte Kaufpreise überzeugt (Urt. v. 4.4.2019, Az. 2 U 101/18). Dennoch hat der BGH am 23.9.2020 überraschend das zugunsten eines Bauunternehmens Anfang 2019 ergangene Stuttgarter Grundurteil aufgehoben und zurückverwiesen. Das LKW-Kartell sei zwar eindeutig ein Preiskartell, allerdings sei das OLG Stuttgart etwas vorschnell von einer hohen Schadenswahrscheinlichkeit ausgegangen. Der BGH macht dabei auch deutlich, dass das OLG mit korrigierter Begründung und erneuter Würdigung der Tatsachen durchaus die Ansprüche der Erwerber bejahen kann. Die sonstigen Einwände der Kartellbeteiligten wies der Karlsruher Kartellsenat jedenfalls zurück.

Seit 2016 beschäftigen hunderte Schadensersatzklagen aufgrund des LKW-Kartells die Zivilgerichte in Europa (wir berichteten). Die Forderungen gegen die sechs am Kartell beteiligten LKW-Hersteller Daimler, DAF, MAN, IVECO, Scania und Volvo/Renault  summieren sich inzwischen auf mehrere Milliarden Euro. Noch immer gibt es Ansprüche aufgrund von Beschaffungen aus dem Kartellzeitraum 1997 bis 2011, die nicht verjährt und womöglich noch gar nicht erhoben worden sind.

Bereits die Europäische Kommission hatte gegen die Hersteller ein Rekordbußgeld von insgesamt 3,81 Mrd. Euro verhängt (wir berichteten). Die Kartellbeteiligten und die LKW-Erwerber streiten vor den Gerichten jedoch nicht nur über die mögliche Schadenshöhe, sondern schon über die Frage, ob das Kartell überhaupt Preisabsprachen zum Gegenstand hatte oder die Kartellbeteiligten „nur“ Informationen über Listenpreise ausgetauscht haben.

Das OLG Stuttgart hatte sich grundsätzlich geschädigtenfreundlich gezeigt, obwohl der BGH mit seiner Entscheidung zum Schienenkartell (Urt. v. 11.12.2018, Az. KZR 26/17) den Anscheinsbeweis und damit eine wichtige Beweiserleichterung für Kartellgeschädigte kurz zuvor gekippt hatte. Dennoch ging der Senat in Stuttgart davon aus, dass die Erwerber selbst dann betroffen sind, wenn die Kartellbeteiligten lediglich einen Informationsaustausch bzgl. der Bruttolistenpreise abgestimmt hatten.

Das BGH-Urteil: Stattgabe der Revision der LKW-Hersteller

Der BGH hat die Stuttgarter Entscheidung aufgehoben. Der Kartellsenat sah jedoch keine Probleme bei der Feststellung der Kartellbetroffenheit, sofern der jeweilige Erwerbsvorgang des LKW-Fahrgestells ab 6 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht oder einer Sattelzugmaschiene von einem der kartellbeteiligten LKW-Hersteller im Kartellzeitraum erfolgte. Die Betroffenheit gilt nach Kartellende jedenfalls auch für LKW-Beschaffungen aus dem Jahr 2011 (Nachwirkung).

Entscheidend blieb damit die Frage, ob die Erwerber auch nachweisen können, dass eine substantielle kartellbedingte Schädigung durch überhöhte Erwerbspreise wahrscheinlich ist. Die Gegenseite trug hier bis zuletzt das Mantra des „bloßen“ Informationsaustauschs vor, was gegen eine Schädigung der Kunden sprechen sollte.

Der BGH stellte nun klar, dass den Feststellungen der Kommission nicht lediglich ein Informationsaustausch, sondern vielmehr eine Absprache über Listenpreiserhöhungen zu entnehmen sei. Das habe in der praktizierten Weise zu den schädlichsten Einschränkungen des Wettbewerbs gehört. Die Kartellbeteiligten haben haftungsrechtlich schuldhaft gegen das Kartellrecht verstoßen. Auch in weiteren Punkten bestätigte der BGH das OLG zugunsten der LKW-Erwerber. So sind erhöhte Erwerbspreise nicht unwahrscheinlich, weil sich die Absprachen vornehmlich auf Listenpreise und nur teilweise auf Nettoendkundenpreise (sog. Transaktionspreise) bezogen haben. Ferner ist bei der Schadensermittlung auch die Koordinierung des Marktverhaltens bei der Einführung neuer Abgastechnologien zu beachten. Der Schaden ist zudem nicht durch die Kostenweitergabe an die Kunden des klagenden Bauunternehmens entfallen und die Verjährung war schon seit den Durchsuchungsmaßnahmen der Kommission im Jahr 2011 gehemmt. Damit sind selbst Ansprüche bei Beschaffungen vor dem Jahr 2000 bei rechtzeitiger Klage noch nicht verjährt.

Der BGH stellt jedoch richtig, dass die Beweislast für den Schaden beim Anspruchsteller verbleibt. Der Tatrichter habe auch ausgehend von einer zulässigen Schadensvermutung alle be- und entlastenden Einzelfallumstände einzubeziehen und darf nicht abstrakt von einer hohen Schadenswahrscheinlichkeit ausgehen. Fortbestehender Wettbewerb und erhebliche Marktanteilsverschiebungen während des Kartells können bei der Gesamtwürdigung möglicher Preiseffekte zu beachten sein. Welches Gewicht ihnen im Ergebnis zukommt, ist jedoch eine Frage des Einzelfalls und vom OLG neu zu beurteilen.

Fazit und Ausblick

Es ist offen, ob das OLG Stuttgart erneut von einem kartellbedingten Schaden ausgehen wird. Ein abweichendes Ergebnis ist wohl dennoch unwahrscheinlich.

Die Aussagen des Kartellsenats sind Ausdruck der rechtlich gestärkten sog. privaten Kartellrechtsdurchsetzung. Auch der Gesetzgeber hat die letzten Entwicklungen in diesem Bereich genauestens beobachtet und reagiert. Die 10. GWB Novelle führt zu weiteren Beweiserleichterungen für Kartellbetroffene (wir berichteten).

Ansprechpartner*innen: Dr. Olaf Däuper/Dr. Holger Hoch/Dr. Anna Lesinska-Adamson

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