Euro-Zinsderivatekartell: Kartellschadensersatz für Anleger?

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Zinsswaps, Forward Rate Agreements oder Zinsoptionen – nach den Feststellungen der Europäischen Kommission haben sich zwischen 2005 und 2008 sieben Großbanken im europäischen Wirtschaftsraum kartellrechtswidrig über die Höhe des EURIBOR-Zinssatzes ausgetauscht, der als Grundlage verschiedenster Finanzprodukte dient. Klagen der beteiligten Banken sind teilweise noch anhängig.

Was war Gegenstand der Kartellabsprachen?

Nach den Feststellungen der Kommission manipulierten die Teilnehmer des Kartells im Zeitraum 2005 bis 2008 (HSBC, Crédit Agricole und JPMorgan Chase im Zeitraum 2006 bis 2007) im europäischen Wirtschaftsraum die Höhe des EURIBOR-Zinssatzes. Der EURIBOR-Zinssatz dient oftmals als Referenzzinssatz bei Geschäften mit Zinsderivaten, wie beispielsweise Forward Rate Agreements, Zinsswaps oder Zinsoptionen. Unternehmen nutzen diese zur Absicherung gegenüber Zinsfluktuationen oder zu Spekulationszwecken. Vor allem bei Zinsswaps, die häufig in Millionenhöhe abgeschlossen werden, können selbst kleine Änderungen des EURIBOR enorme Auswirkungen auf die beteiligten Unternehmen haben. Durch den Austausch vertraulicher Informationen (z. B. Trading-Positionen, Strategien der Banken) sowie Quotierungsabsprachen wurde der EURIBOR durch die Kartellanten manipuliert. Infolgedessen erhielten die beteiligten Banken einen Vorteil und konnten dadurch höhere Gewinne erzielen. Die Bußgeldentscheidungen der Kommission haben zwar einen Verstoß gegen das europäische Kartellrecht festgestellt, welche Bankkunden konkret betroffen sind und die Höhe des durch die Absprachen entstandenen Schadens ist zunächst unbekannt. Beides muss – wie bei privaten Kartellschadensersatz üblich – ermittelt und im Einzelfall geprüft werden.

Wer ist von den Kartellabsprachen potentiell betroffen?

Grundsätzlich betroffen ist, wer im Kartellzeitraum mit einer oder mehreren der sieben Banken eines der oben benannten Finanzgeschäfte abgeschlossen hat. Ein direktes Vorgehen gegen die Banken Barclays, Deutsche Bank, RBS und Société Génerale ist unter Verjährungsgesichtspunkten weniger erfolgsversprechend. Allerdings können auch gegenüber den Banken HSBC, Crédit Agricole und JPMorgan Chase gesamtschuldnerisch Kartellschadensersatzansprüche geltend gemacht werden, die aufgrund von Geschäften mit Barclays, Deutsche Bank, RBS und Société Generale im Zeitraum September 2006 bis März 2007 entstanden sind.

Bisherige Verfahren der Kommission und der europäischen Gerichte

Bereits im Jahr 2013 verhängte die Kommission erste Bußgelder gegen die Banken Barclays (Kronzeuge), Deutsche Bank, RBS und Société Génerale in Höhe von 1,04 Mrd. Euro. Im Jahr 2016 folgten dann weitere Bußgeldbescheide gegen HSBC, Crédit Agricole und JPMorgan Chase in Höhe von 485 Mio. Euro. Die drei letztgenannten Banken klagten gegen die Bußgeldentscheidung.

Während die Verfahren von Crédit Agricole und JPMorgan Chase ausgesetzt sind, entschied das EuG im Herbst des letzten Jahres im HSBC Verfahren. Derzeit ist die Klage noch vor dem EuGH anhängig, so dass eine abschließende Bestätigung der Kommissionsentscheidungen noch aussteht.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Dr. Holger Hoch

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