Was Sie schon immer über Compliance wissen wollten (und sollten) – Teil 4: Internal Investigations

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Es gibt wenig, was Geschäftsführung und Vorstand eines Unternehmens mehr unter Stress setzt, als das Publikwerden eines Compliance-Falls. Hier muss schnell und souverän gehandelt werden, ohne dabei die Kontrolle zu verlieren. Nicht ganz einfach, wenn man sich die mediale Wucht einiger Compliance-Fälle aus den vergangenen Jahre anschaut. Die Abgasaffäre ist dabei nur das jüngste Beispiel. Zuvor gab es etwa die geschönten Teilnehmerzahlen bei der Vergabe des Mobilitätspreises „Gelber Engel“ des ADAC oder die dubiosen Zahlungen im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 2006 – alles Fälle, die am Ende der Führungsebene auf die Füße fielen.

Doch was tun, wenn das sprichwörtliche Kind bereits in den Brunnen gefallen ist?

Genau hier kommt das Institut der sog. „Internal Investigations“ ins Spiel. Was auf Deutsch auch als ‚interne Ermittlungen‘ bekannt ist, gehört nach herrschender Rechtsauffassung sogar zur Pflicht von Geschäftsführung bzw. Vorstand. Der Ablauf ist dabei fast immer der gleiche: Zunächst muss lückenlos ermittelt und aufgedeckt werden, was überhaupt passiert ist. Dabei werden die betroffenen Mitarbeiter befragt (sog. Interviews) und Dokumente und der E-Mail-Verkehr ausgewertet (sog. Document Review). Die Ergebnisse werden in einem Abschlussbericht (sog. Audit Report) zusammengefasst. Auf dessen Grundlage werden schließlich Maßnahmen getroffen, die sicherzustellen, dass ein Compliance-Verstoß nicht erneut eintreten kann.

Das hört sich zunächst relativ überschaubar an, kann aber in monate- oder gar jahrelange Prozesse ausarten. Denn allein die Befragung aller betroffenen Mitarbeiter und die Auswertung unzähliger Dokumente benötigt Zeit. Oft kommen umfangreiche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (z.B. nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG) und besondere Arbeitnehmerrechte dazu.

Die internen Ermittlungsmaßnahmen können von der Geschäftsführung selbst oder einem eigens eingerichteten ‚Ermittlungsteam‘ durchgeführt werden. Hierzu sollte es in jedem Unternehmen bzw. Konzern Vorgaben geben. In den sog. Ermittlungsrichtlinien werden die Befugnisse und Pflichten der Ermittler geregelt, Maßnahmen für Sonderermittlungen definiert und Dokumentationspflichten benannt. In schwerwiegenderen Fällen bietet es sich aufgrund des Umfangs der Auswertungsarbeiten und der notwendigen Objektivität und Sachkunde der ermittelnden Personen an, die Befragungen und Dokumentenauswertung durch externe Unternehmen wie eine Rechtsanwaltskanzlei durchführen zu lassen. In vielen Fällen treffen Vorwürfe ohnehin Teile der Geschäftsführung oder des Vorstands, was die Beauftragung objektiver Außenstehender notwendig macht.

Der Bereich der internen Ermittlungen sollte daher nicht unterschätzt oder gar stiefmütterlich behandelt werden. Denn die Anwendungsbereiche sind je nach Compliance-Verstoß äußerst komplex. So unterscheidet sich ein kartellrechtlicher Vorfall grundlegend von falschen Meldungen im Energiehandel. Auch Korruptionsskandale wie der oben angesprochene Fall der nicht ganz koscheren WM-Vergabe müssen gesondert aufgearbeitet werden. Die rechtlichen Anknüpfungspunkte können daher je nach Geschehen beispielsweise im GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen), dem Strafrecht oder dem Arbeitsrecht liegen. Die umfangreichen Pflichten der DGSVO kommen hinzu. Alleine der jüngste Datenskandal beim Sozialen Netzwerk Facebook, bei dem 50 bis 60 Millionen Nutzerprofile ausgespäht wurden, hat das erhebliche Risikopotential in diesem Bereich aufs Neue bewiesen.

Interne, d.h. unternehmenseigene Ermittlungen unterscheiden sich übrigens deutlich von externen Ermittlungen. Der typischste Fall externer Ermittlungen ist das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft. Hierbei ist eine vor Beginn des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens durchgeführte interne Ermittlung Fluch und Segen zugleich. So ist von Vorteil, dass die Unternehmensführung bereits den Sachverhalt intern aufgeklärt hat und entsprechend substantiiert und selbstbewusst gegenüber den Ermittlungsbehörden auftreten kann. Nachteile oder besser gesagt Risiken können auftreten, wenn Dokumente oder sonstige Beweise verloren gehen. Denn hier steht schnell der Vorwurf der Strafvereitelung (§ 258 StGB) im Raum.

Es zeigt sich, dass interne Ermittlungsmaßnahmen ein zentraler Teil einer funktionierenden Compliance sind. Freilich sollte man nicht darauf vertrauen oder abwarten, bis die Ermittlungsergebnisse der ermittelnden Behörden vorliegen. Denn spätestens dann ist es zu spät, die notwendigen Maßnahmen im Unternehmen durchzusetzen. Und man kann dann auch nicht mehr vorbringen, das eigene Compliance-Management-System in direkter Folge des Vorfalls durchleuchtet und verbessert zu haben, damit das Bußgeld nicht allzu hoch ausfällt. Denn seit der grundlegenden Entscheidung (Urt. v. 9.5.2017, Az. 1 StR 265/16) des Bundesgerichtshofes (BGH) können sich Compliance-Bemühungen – nun höchstrichterlich bestätigt – im Nachgang eines Vorfalls bußgeldmindern auswirken.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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