Der Referentenentwurf eines Strommarktgesetzes hält (noch) nicht, was das Weißbuch verspricht

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Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) hat sich zum Ziel gesetzt, in Zeiten gewandelter energiewirtschaftlicher Rahmenbedingungen auch künftig die Basis für eine sichere, preiswürdige, klimafreundliche und effiziente Stromversorgung zu schaffen. Nach dem Grün– und dem Weißbuch (wir berichteten) liegt nun ein erster Entwurf eines Gesetzespakets zum Strommarkt vor. Was steht drin? Was sind die Hintergründe? Und was ist davon zu halten?

Die Debatte läuft in Deutschland schon länger: die Entwicklung der Strompreise auf den Endkundenmärkten, die Förderung Erneuerbarer Energien, der Atomausstieg, der Netzausbau, die Reduktion von Treibhausgasen, das Schicksal konventioneller Kraftwerke und die Zukunft des deutschen Strommarkts als Energy-Only-Markt oder Kapazitätsmarkt sind seit langem kontrovers. Dies nahm die Politik im vergangenen Jahr zum Anlass, einen offenen ordnungspolitischen Diskussionsprozess zu starten. Nachdem im Oktober 2014 das Grünbuch (wir berichteten) veröffentlicht und hierzu über 700 Stellungnahmen aus dem Markt verfasst wurden, konnten sich Marktteilnehmer bis 24.8.2015 auch zum Weißbuch und den darin skizzierten Maßnahmen äußern, was letztlich weitere rund 300 Stellungnahmen hervorbrachte. Im Anschluss daran sollte sodann das förmliche Gesetzgebungsverfahren die erforderlichen Maßnahmen rechtlich umsetzen.

Die Erwartungen des Marktes an den angekündigten Gesetzesentwurf waren hoch, setzte das BMWi mit den im Weißbuch vorgeschlagenen Maßnahmen doch einige äußerst wichtige Handlungsfelder auf die politische Agenda, die das strukturelle Design des Strommarktes zukunftsfähiger machen sollen. Klar war nach dem Weißbuch bereits, dass ordnungspolitisch an dem bestehenden System des Energy-Only-Marktes im Grundsatz festgehalten werden sollte, weil das Ministerium auf die (Selbstheilungs-)Kräfte des Marktes bei freier Preisbildung vertraut. Angekündigt war auch, dass dieser sog. Strommarkt 2.0 durch eine Netz- und Kapazitätsreserve abgesichert werden sollte, um die bewährte Versorgungssicherheit in Deutschland zu erhalten. Befürworter eines kapazitätsbasierten Marktmodells konnten mit ihren Bedenken dagegen und ihren Vorschlägen für einen radikaleren Systemwandel nicht durchdringen.

Auch wenn man sich kaum vorstellen mag, dass das Wirtschaftsministerium innerhalb von nur drei Tagen nach Ende der Konsultationsfrist sämtliche Stellungnahmen auf das Weißbuch im Detail auswerten und bei der Formulierung von Normen berücksichtigen konnte, zirkuliert nun bereits ein Referentenentwurf eines Strommarktgesetzes mit Bearbeitungsstand vom 27.8.2015. Dieser Entwurf ist als Artikelgesetz ausgestaltet, welches auf immerhin 127 Seiten vor allem Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG), der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV), der Stromnetzzugangsverordnung (StromNZV), der Reservekraftwerksverordnung (ResKV) und des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorschlägt und erläutert.

Was ist im Entwurf vorgesehen?

Der nun bekannt gewordene Gesetzesentwurf lässt sich vom Umfang und der Komplexität her durchaus sehen, adressiert aber noch nicht alle Maßnahmen des Weißbuchs (im Detail). An vielen Punkten werden die Eckpfeiler für den künftigen Rechtsrahmen gesetzt. Die Umsetzung der einzelnen Themenfelder im Detail bleibt aber dem Verordnungsgeber und ggf. den Regierungsbehörden zur Konkretisierung überlassen.

In einem neuen § 1 Abs. 4 Nr. 1 EnWG wird zunächst das Ziel verankert, „die Preisbildung für Elektrizität durch wettbewerbliche Marktmechanismen zu gewährleisten und die Marktpreissignale für Erzeuger und Verbraucher zu stärken“. Diese freie Preisbildung des Strommarktes war eine zentrale Forderung des Weißbuchs (Maßnahmen 1 und 2). Zusätzlich soll ein neuer § 1a EnWG wichtige Grundsätze des Strommarktes festlegen. Dazu zählen die Freiheit der Preisbildung von regulatorischen Eingriffen, die Stärkung der Bilanzkreistreue im bestehenden Bilanzkreis- und Ausgleichsenergiesystem, die Flexibilisierung von Angebot und Nachfrage, der bedarfsgerechte und effiziente Netzausbau, die Integration von Ladeinfrastruktur für Elektromobile, die Transparenz des Strommarkts und die Integration der europäischen Strommärkte.

Netzbetreiber sollen die Möglichkeit einer Spitzenkappung von EEG-Strom erhalten, das heißt sie dürfen für „einen bedarfsgerechten, wirtschaftlich zumutbaren Ausbau der Elektrizitätsversorgungsnetze […] für ihre Netzplanung die Annahme zu Grunde legen, dass die prognostizierte jährliche Stromerzeugung je unmittelbar an ihr Netz angeschlossener Anlage zur Erzeugung von elektrischer Energie aus Windenergie an Land oder solarer Strahlungsenergie um bis zu drei Prozent reduziert werden darf“ (§ 11 Abs. 2 EnWG). Dies soll helfen, die Kosten für den Netzausbau auf ein volkswirtschaftlich effizientes Maß zu minimieren und eine bessere Netzplanung unter der Energiewende zu ermöglichen.

Um den Strommarkt insgesamt besser zu überwachen, zu verstehen und ggf. bei Versorgungsengpässen besser nachsteuern zu können, beinhaltet der Referentenentwurf an verschiedenen Stellen Regelungen zur Informationsrechten von Netzbetreibern (§ 12 EnWG), zum Monitoring der Versorgungssicherheit (§ 51 EnWG) und zur Transparenz (§§ 111d ff. EnWG). Dies führt für sämtliche Marktakteure dazu, dass sie erheblich mehr Auskunfts- und Berichtspflichten unterliegen.

In § 13 Abs. 1b EnWG soll die angemessene Vergütung für Betreiber von Erzeugungs- und Speicheranlagen im Rahmen von Maßnahmen des Redispatchs geregelt werden. Die bisherigen Festlegungen dazu hatte das OLG Düsseldorf bekanntlich Ende April 2015 für rechtswidrig erklärt, weil die Vergütung der zu Redispatch-Maßnahmen herangezogenen Anlagenbetreiber unzulänglich ist (wir berichteten). Nun hat der Gesetzgeber sich die Aussagen des OLG Düsseldorfs zu Herzen genommen und den Begriff der „angemessenen Vergütung“ konkretisiert. Die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) müssen nach dem Referentenentwurf bei einem Redispatch-Einsatz neben den tatsächlichen Kosten der Einspeisungsanpassung und dem Werteverbrauch der Anlage auch die „nachgewiesenen entgangenen Erlösmöglichkeiten“ vergüten. Damit dürfen Anlagenbetreiber zum Beispiel auch entgangene Gewinne aus Intraday-Geschäften, vermiedene Netzentgelte oder Zinsnachteile geltend machen.

Interessant ist der Gesetzesentwurf auch für diejenigen, die sich angesichts des geplanten Atomausstiegs als Letztverbraucher um die künftige Versorgungssicherheit in Süddeutschland Sorgen machen oder im dortigen Gebiet Neubauprojekte in der Schublade haben. Im Weißbuch war ein Bedarf an Netzreserve für neu zu errichtende Erzeugungsanlagen in Höhe von 2 GW vorgesehen. Der wird nun im Referentenentwurf näher beschrieben. So sollen die ÜNB bis zum 30.11.2016 entscheiden, ob und wo – denn die Berücksichtigung von „regionalen Kernanteilen“ im Ausschreibungsverfahren ist ausdrücklich erlaubt – dieser Bedarf tatsächlich besteht. Sollte dies der Fall sein, werden die ÜNB entsprechende Anlagen ausschreiben und ab dem Winterhalbjahr 2021/2022 für einen Zeitraum von 15 Jahren vertraglich binden (§ 13 Abs. 4 EnWG). Dieser enge Zeitrahmen lässt schon vermuten, dass nur solche Kraftwerksprojekte eine Chance auf den Zuschlag haben, die sich bereits in einem fortgeschrittenen Planungsstadium befinden (zumindest, wenn es sich um größere Anlagen handelt). Außerdem bleiben die bereits bekannten Bedenken gegen einen Neubau zu reinen Netzreservezwecken bestehen: Bau und Betrieb einer Erzeugungsanlage werden so zum reinen Finanzierungsgeschäft, das mit der eigentlichen Tätigkeit von Energieversorgern nicht mehr viel zu tun hat.

Neben der Netzreserve skizziert der Referentenentwurf aber auch die Basis für die Implementierung einer sog. Kapazitäts- und Klimareserve, auch wenn die technischen und kommerziellen Rahmenbedingungen für interessierte Anlagenbetreiber zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend erkennbar sind. Wie politisch vereinbart, hat sich die Bundesregierung gemeinsam mit der EU-Kommission überlegt, wie die emissionsintensive Kohlekraftwerke aus dem Markt genommen werden können, ohne dass die großen Kraftwerksbetreiber erneut zur Kasse gebeten werden. Ergebnis: Es kommt nicht nur die (eigentlich vorgesehene) Kapazitätsreserve als ultima ratio für Versorgungsausfälle, sondern eine sog. Kapazitäts- und Klimareserve, die zur Einhaltung der deutschen Klimaschutzziele beitragen soll. Für die Kapazitätsreserve geht aus dem Entwurf hervor, dass diese

  • ab dem Winterhalbjahr 2019/2020 einen Leistungsumfang von 0,8 GW,
  • ab dem Winterhalbjahr 2020/2021 von 1,7 GW,
  • ab dem Winterhalbjahr 2021/2022 von 3,1 GWund
  • ab dem Winterhalbjahr 2022/2023 von 5 Prozent der durchschnittlichen Jahreshöchstlast im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland haben soll (§ 13 d Abs. 3 Satz 3 EnWG).

Bezogen auf die Klimareserve regelt der Entwurf in § 13d Abs. 4 und 5 EnWG, dass diese stufenweise aufgebaut wird – jeweils 0,9 GW installierte Nettoleistung ab 2017, dem Winterhalbjahr 2017/2018 und dem Winterhalbjahr 2018/2019, also insgesamt 2,7 GW. Die Dauer der Bindung jener Kraftwerke soll 4 Jahre betragen und ihre Mindestverfügbarkeit bei 90 Prozent liegen. Wie bei Kraftwerken aus der Kapazitätsreserve soll ein Rückkehrverbot in den Markt gelten. Für eine abschließende Bewertung der Kapazitäts- und Klimareserve ist es allerdings noch zu früh: Sämtliche Details sollen vom BMWi per Verordnung ausgearbeitet und darüber hinaus ggf. durch weitergehende Festlegungen konkretisiert werden (§ 13e EnWG).

Diskussionsbedarf wird sich durch die im Weißbuch bereits angekündigte und im Referentenentwurf umgesetzte Änderung in § 18 StromNEV ergeben, wonach ab 2021 in Betrieb genommene Erzeugungsanlagen keine vermiedenen Netznutzungsentgelte mehr erhalten sollen.

Stromintensive Letztverbraucher wird wiederum beruhigen, dass der Gesetzgeber die Regelungen zu individuellen Netzentgelten in § 19 Abs. 2 StromNEV nicht angefasst hat. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hatte zuvor mit dem im Frühjahr 2015 veröffentlichten Evaluierungsbericht bezweifelt, ob verlässlich planbarer Verbrauchslasten für die Netze nützlich sind. Das hat den Gesetzgeber jedoch anscheinend nicht überzeugt.

Der Referentenentwurf befasst sich schließlich an verschiedenen Stellen mit dem Thema Bilanzkreise. So enthält er Vorgaben, die auf eine stärkere Bilanztreue der Bilanzkreisverantwortlichen hinwirken sollen. Außerdem ermöglicht er, Kosten der Regelleistung auf die Bilanzkreisverantwortlichen abzuwälzen, soweit die Vorhaltung durch die Gesamtheit der Bilanzkreisverantwortlichen verursacht wird (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StromNEV). Ferner erlaubt er den Regulierungsbehörden, Einheitspreise für die Regelarbeit (§ 8 Abs. 1 Satz 3 StromNZV) festzulegen (anstelle des bisherigen Pay-as-bid-Verfahrens). Zum anderen sollen Bilanzkreisverträge aber auch für die Erbringung von Sekundärregelung geöffnet werden (§ 26 Abs. 3 StromNZV).

Letzteres wirkt sich auf die Rahmenbedingungen für Lastmanagement bzw. Demand Response aus, das laut den im Weißbuch enthaltenen Maßnahmen 6 und 10 für die erforderliche verstärkte Einbindung flexibler Verbrauchslasten von zentraler Bedeutung ist. Zwar ist die erwähnte Öffnung von Bilanzkreisen für Sekundärregelung eine wichtige Bedingung für eine kommerzielle Nutzung flexibler Verbrauchslasten. Die Marktrollen und Informationsflüsse von bzw. zwischen Dienstleistern, Lieferanten/Bilanzkreisverantwortlichen, Bilanzkreiskoordinatoren und Letztverbrauchern werden im Referentenentwurf jedoch nicht geregelt. Auch auf die Präqualifikationsanforderungen und die Abwicklungsprozesse für die Aggregation von Verbrauchslasten geht der Entwurf nicht ein.

Es liegt noch viel Arbeit vor uns

Der Entwurf des Strommarktgesetzes greift einige zentrale Elemente des Weißbuchs auf und konkretisiert dadurch wesentliche Eckpfeiler des künftigen Rechtsrahmens für den Strommarkt. Für manche Punkte wie zum Beispiel vermiedene und individuelle Netzentgelte sowie Redispatch schafft der Entwurf mehr Klarheit, wo die ordnungspolitische Reise voraussichtlich hinführt. An anderen Stellen wiederum deutet der Entwurf lediglich grob an, wie die im Weißbuch angekündigten Maßnahmen umgesetzt werden sollen, so zum Beispiel zur Kapazitäts- und Klimareserve und zum Thema Demand Response.

Weitere wichtige energiepolitische Themen, deren Regelung in Stellungnahmen zum Weißbuchprozess gefordert wurden, nimmt der Gesetzesentwurf weitgehend oder vollständig aus. Dies betrifft unter anderem den erforderlichen Netzausbau, aber auch die Defizite der Anreizregulierung (erwähnt sei hier nur das Thema Zeitversatz), die vor allem Netzbetreiber vor erhebliche Herausforderungen stellen.

Unter dem Strich bleibt der Gesetzesentwurf somit in verschiedenen Punkten hinter den Erwartungen zurück, die der Grün- und Weißbuchprozess bei vielen Marktteilnehmern geschürt hat. Andererseits ist kaum anzunehmen, dass der Gesetzgeber seine Hausaufgaben mit dem vorliegenden ersten Entwurf bereits als erfüllt ansieht. Man darf davon ausgehen, dass sich der Gesetzgeber durchaus bewusst ist: Die Arbeit hat gerade erst begonnen.

Ansprechpartner BBH: Dr. Ines Zenke/Dr. Olaf Däuper/Dr. Tigran Heymann

Ansprechpartner BBHC: Dr. Andreas Lied/Peter Bergmann/Marcel Malcher

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