Green Deal  – Tigersprung oder Bettvorleger?

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Ursula von der Leyen, die neue EU-Kommissionspräsidentin, will ein ehrgeiziges Klimaschutzpaket auf den Weg bringen. „Green Deal“ soll es heißen und am letzten Freitag wurde ein erster Überblick geleakt, wie dieser „Deal“ aussehen soll. Und in der Tat: wenn das so kommt wie angekündigt, dann dürfte er einiges an Sprengkraft entfalten.

Mit einem Monat Verzögerung, aber pünktlich zum ersten Advent, hat Ursula von der Leyen am 1.12.2019 ihr neues Amt angetreten. Der Weg dorthin war mühsam, zumal sie bei den Europawahlen nicht als „Spitzenkandidatin“ angetreten war. In ihrer Bewerbungsrede im vergangenen Juli vor dem EU-Parlament konnte von der Leyen am Ende trotzdem überzeugen, unter anderem mit dem Versprechen eines „Green Deals“, der ein „Markenzeichen“ Europas werden soll. Das nun geleakte Papier listet eine Reihe von geplanten Klimaschutzmaßnahmen stichpunktartig auf. An vielen Stellen befinden sich noch Lücken und es fehlen wesentliche Details. Dennoch wird auf den knapp fünf Seiten deutlich: Von der Leyen will in verschiedensten Bereichen eine Menge verändern.

An erster Stelle steht ein „Klimagesetz“. Dieses soll bereits in den ersten hundert Amtstagen der neuen Kommission in Kraft treten. Es setzt der EU das verbindliche Ziel, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Frans Timmermans, der Vizekommissionspräsident, war schon vor Amtsantritt damit beauftragt worden, einen Vorschlag auszuarbeiten. Wie der genau aussieht, ist noch offen.

Von der Leyen kündigt in ihrem Entwurf als zweites an, alle relevanten gesetzlichen Regelungen auf dieses neue Ziel hin zu überprüfen und, wenn nötig, anzupassen. Einige werden sich noch an das Ringen um das sog. Winterpaket erinnern (wir berichteten), das seit 2016 verhandelt und erst vor wenigen Monaten zum Abschluss gebracht wurde. Dieses Gesetzespaket sollte die Pariser Klimaziele umsetzen. Nun stehen die darin beschlossenen Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten größtenteils noch nicht einmal in ihr nationales Recht implementiert haben, schon wieder auf dem Prüfstand. Allen voran betrifft es die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EE-RL) und die Energieeffizienzrichtlinie. Auf diese hatten sich der Rat, das Parlament und die Kommission gerade erst mühsam geeinigt. Dass die Mitgliedstaaten bereit sind, diese Ergebnisse und Kompromisse nach so kurzer Zeit wieder in Frage zu stellen, ist wenig wahrscheinlich. Besonders brisant ist, dass ca. 15 der Mitgliedstaaten, darunter auch die Bundesrepublik, schon jetzt weit hinter ihren verbindlichen Ausbauzielen unter der noch gültigen Erneuerbare-Energien-Richtlinie aus dem Jahr 2009 liegen. Auch in den bisher bekannten Entwürfen der nationalen Energie- und Klimapläne fehlen die ambitionierten Maßnahmen, die man bräuchte, um das neue verbindliche europäische Ausbauziel von 32 Prozent Erneuerbarer Energien bis 2030 zu erreichen.

Weiter schlägt die Kommission eine Renovierungsinitiative vor, die die stagnierende Sanierungsrate für bestehende Gebäude nach oben treiben soll. Leitlinien und Verordnungen im Beihilferecht, die derzeit ohnehin überarbeitet werden, sollen nun an den Zielen des „Green Deals“ ausgerichtet werden. Bis März 2020 möchte von der Leyen auch eine Industriestrategie für eine klimaneutrale Wirtschaft in der EU vorlegen. Eine sog. Carbon Border Tax soll jene Industrien schützen, die höheren Kosten durch Klimaschutzmaßnahmen ausgesetzt sind und im internationalen Wettbewerb stehen. Viele Unternehmen hatten zuletzt kritisiert, dass die derzeitige Rechtslage ihnen nicht genügend Investitionssicherheit verschaffe, um ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Dabei seien sie durchaus bereit, etwa verstärkt auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu setzen.

Sprengkraft steckt in den steuerpolitischen Maßnahmen. Von der Leyen schlägt vor, die Energiesteuerrichtlinie zu reformieren, damit diese im Einklang mit den Klimazielen steht. Ähnliche Ideen sind seit 2003 gescheitert, da die Mitgliedstaaten einstimmig über eine Änderung der Richtlinie entscheiden müssen und sich bislang nicht einigen konnten. Aus diesem Grund soll nun dazu das Einstimmigkeitserfordernis in Steuersachen abgeschafft werden. Anderes als im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, wo das EU-Parlament mit einfacher und der Rat mit doppelt qualifizierter Mehrheit abstimmen, gelten in Steuersachen  strengere Anforderungen. Die einstimmige Entscheidung im Rat soll die Steuerhoheit der Mitgliedstaaten schützen. Kritische Stimmen fordern schon länger eine Änderung der EU-Verträge, insbesondere, um solche Einstimmigkeitsprinzipien abzuschaffen oder auch, um den Euratom-Vertrag endlich zu reformieren. Ob es der neuen Kommission gelingen wird, sich auf diesem empfindlichen Terrain durchzusetzen, ist zumindest offen.

Die Vorstöße der EU könnten sich auch auf das komplizierte Regel-Ausnahme-System in Deutschland in den Bereichen Kraft-Wärme-Kopplung, Erneuerbare Energien und Netzumlagen auswirken. Das Energiewirtschaftsrecht grundlegend zu reformieren, scheint aber der Bundeswirtschaftsminister zumindest nicht zu forcieren. Dabei wäre es dringend geboten, unser Fördersystem rasch und systematisch umzubauen, den Netzausbau zu beschleunigen, die Bürgerenergie zu stärken und die Anpassungsverantwortung zu verteilen.

Laut dem geleakten Dokument wird die Kommission am 11.12.2019 einen ausführlichen Entwurf veröffentlichen. Die seit Monaten andauernden „Fridays for Future“-Demonstrationen und ähnliche Bewegungen könnten die politische Stimmung für weitreichende Klimaschutzmaßnahmen gedreht haben. Schließlich hat das EU-Parlament in der vergangenen Woche und pünktlich zu den COP-25-Verhandlungen in Madrid den europäischen und globalen Klimanotstand mit sehr großer Mehrheit ausgerufen. Ob das ausreicht, damit von der Leyens vermeintlicher Tigersprung in ihre Amtszeit nicht am Ende doch wieder nur als Bettvorleger endet? Spannend wird es in jedem Fall.

Anprechpartner: Dr. Dörte Fouquet

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