Kernbrennstoffsteuer: Wenn ein Finanzgericht Verfassungsgericht spielt

(c) Martin Beckmann

Das Kernbrennstoffsteuergesetz (KernbrStG) ist verfassungswidrig und daher nicht anwendbar. Zu diesem überraschenden Schluss ist das Finanzgericht (FG) Hamburg im Rahmen eines Eilverfahrens (Beschluss vom 19.9.2011, Az. 4 V 133/11) gelangt: Dem Bund, so das Gericht, stehe insoweit keine Kompetenz zu. Dem klagenden Unternehmen wurde daher die Steuer in Höhe von 96 Millionen Euro für Juli 2011 vorläufig rückerstattet.

Die Kernbrennstoffsteuer ist ein Teil der Entscheidung des Bundesgesetzgebers, die Laufzeiten der Kernkraftwerke zu verlängern. Kraftwerksbetreiber zahlen seither eine Steuer auf die Verwendung von Plutonium und Uran in Kernkraftwerken (§ 1 Abs. 1 KernbrStG). Die ursprünglichen Berechnungen sahen Steuermehreinnahmen in Höhe von rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr vor. Weil die Steuer jedoch ihrerseits steuerlich absetzbar ist und zwischenzeitlich acht der ursprünglich 17 Kernkraftwerke vom Netz genommen wurden, reduzieren sich die Mehreinnahmen auf ca. 600 Millionen Euro jährlich. Ziel des Gesetzes war u.a. die Beteiligung der Kernkraftwerksbetreiber an den Kosten der Endlagerung des Atommülls.

Wer kann ein Gesetz für verfassungswidrig erklären?

Dass das Finanzgericht im Rahmen eines Eilverfahrens ein durch den Bundestag beschlossenes Gesetz für unanwendbar erklärt, ist für sich genommen schon mehr als überraschend. Denn nach dem Grundgesetz (GG) steht ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Befugnis zu, Gesetze zu verwerfen (sog. Verwerfungsmonopol). Wollte man davon eine Ausnahme zulassen, dann wäre doch zumindest eine entsprechend offensichtliche Verfassungsverletzung durch die Verabschiedung des Steuergesetzes zu erwarten. Alles andere wäre mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht zu vereinbaren.

Liest man hingegen die Entscheidungsgründe, kommt man zu dem Ergebnis, dass sich das Gericht auf dünnem Eis bewegt und keineswegs gravierende Verstöße, sondern lediglich Zweifel feststellt: So zweifelt es an der Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer, weil es sich um keine Verbrauchsteuer handele, und nur für eine solche sei der Bund zuständig. Nach Ansicht der Richter zeichne sich eine Verbrauchsteuer allgemein dadurch aus, dass sie vom Endverbraucher getragen werde. Zwar werde sie in aller Regel vom produzierenden oder vertreibenden Unternehmen erhoben, diese würden die Kosten aber stets an die Endverbraucher weitergeben. Davon könne bei einer Besteuerung von Uran und Plutonium – ersichtlich keine Gegenstände des privaten Verbrauchs – keine Rede sein.

Das BVerfG sieht es anders

Damit setzt sich das Finanzgericht zunächst in offenen Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte im Ökosteuer-Urteil von 2004 ausdrücklich festgehalten, dass der Begriff der Verbrauchsteuer nicht nur Steuern auf Güter des „letzten“ Verbrauchs, also den Verbrauch im privaten Haushalt, umfasse, sondern auch den produktiven Bereich betreffe: „Es gibt keinen Rechtssatz, der das Anknüpfen einer Verbrauchsteuer an ein Produktionsmittel verbietet.“

Trotz dieser deutlichen Aussage des BVerfG kommt das Hamburger Gericht zum gegenteiligen Ergebnis. Dass bei einer Verbrauchsteuer ein Gut eines Produktionsprozesses – ein Rohstoff – Gegenstand der Steuer sein könne, hält das Gericht für ausgeschlossen. Ausschließlich Güter, die tatsächlich „konsumiert“ würden, könnten mit einer Verbrauchsteuer belastet werden. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht letztverbindlich über Verfassungskonformität der Steuer entscheiden wird, ist diese Ansicht des FG Hamburg äußerst kühn.

Im Ergebnis hat das Finanzgericht mit einer Begründung, die teilweise in Widerspruch zu höchstrichterlichem Recht steht, eine fragwürdige Entscheidung getroffen. Dem Gesetzgeber wäre bei Bestätigung der Rechtsprechung die Möglichkeit genommen, Güter der Industrie und des Gewerbes mit einer Steuer zu belasten. Es würde aber überraschen, wenn die Entscheidung des Finanzgerichts in der nächsten Instanz vom Bundesfinanzhof bestätigt werden würde.

Ansprechpartner Kernenergie: Dr. Olaf Däuper/Dr. Roman Ringwald
Ansprechpartner Energiesteuern: Daniel Schiebold

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