Neues zur Insolvenzanfechtung vom BGH

Die Insolvenzanfechtung steht seit Jahren in der Kritik. Insolvenzverwalter können damit die Insolvenzmasse mehren, für Gläubiger ergibt sich aber ein oft unkalkulierbares Risiko, weil die Rückzahlungsverpflichtung erheblich sein kann. Im Jahr 2017 hat der Gesetzgeber reagiert und unter anderem die Regelungen der Vorsatzanfechtung eingeschränkt (wir berichteten). Nun hat der neubesetzte IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit seiner Entscheidung (Az. IX ZR 72/20) vom 6.5.2021 seinerseits ein Zeichen gesetzt.

Worum geht es?

Der Kläger ist Insolvenzverwalter und fordert von der beklagten Bundesrepublik Deutschland aufgrund Vorsatzanfechtung Rückgewähr von zehn Teilzahlungen, die die Schuldnerin erbracht hat. Den Zahlungen war ein Antrag der Schuldnerin auf Ratenzahlung und eine „eingehende telefonische Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens“ mit dem Bundesamt für Justiz vorausgegangen.

Dreh- und Angelpunkt der Vorsatzanfechtung ist regelmäßig die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners. Diese ist wie der Benachteiligungsvorsatz des Schuldners selbst nur eingeschränkt dem Beweis zugänglich und kann oft lediglich mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. Bislang wurde in aller Regel aus der dem Anfechtungsgegner bekannten Zahlungsunfähigkeit gefolgert, dass er den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kennt (etwa BGH, Beschl. v. 5.3.2020, Az. IX ZR 171/18; Urt. v. 14.7.2016, Az. IX ZR 188/15).

Von dieser Rechtsprechung rückt der IX. Zivilsenat nun ab und befürwortet eine Neuausrichtung.

Allein aufgrund erkannter Zahlungsunfähigkeit anzunehmen, dass die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung vorliegen, füge sich weder in die Systematik der Anfechtungstatbestände, insbesondere des § 133 Abs. 1 InsO, ein noch sei ein entsprechender Wille des Gesetzgebers erkennbar. Hinzu komme, dass die erkannte Zahlungsunfähigkeit für sich genommen dann nicht auf die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung schließen lasse, wenn der Schuldner trotz eingetretener Zahlungsunfähigkeit berechtigterweise davon ausgehen durfte, noch alle seine Gläubiger befriedigen zu können.

Vielmehr müsse der Bezugspunkt des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes erweitert werden. Es reiche nicht aus, dass der Schuldner weiß, dass er im Zeitpunkt der Vornahme der später angefochtenen Rechtshandlung nicht alle seine Gläubiger befriedigen kann. Entscheidend sei, dass er weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er auch künftig nicht dazu in der Lage sein wird. Gerade im Fall der Gewährung kongruenter Deckungen, also von Leistungen, auf die der Gläubiger einen Anspruch hat, führe der Schluss von der erkannten Zahlungsunfähigkeit auf die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung zum weitgehenden Gleichlauf mit der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Der nach dieser Vorschrift maßgebliche Anfechtungszeitraum von drei Monaten vor Insolvenzantragstellung wäre damit faktisch auf (nach dem alten Recht) zehn bzw. auf vier Jahre nach neuem Recht verlängert. Eine außerhalb der kritischen Zeit von drei Monaten gewährte kongruente Deckung nach § 133 Abs. 1 InsO könne zwar anfechtbar sein, dies dürfe aber nicht unter den gleichen Voraussetzungen möglich sein, unter denen die Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO auf drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begrenzt ist.

Was bedeutet das jetzt?

Der BGH will die Neuausrichtung der Rechtsprechung auch auf die Feststellung des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes selbst und insbesondere auch für § 133 InsO in der derzeit geltenden Fassung verstanden wissen. Er hat die Anforderungen an die subjektiven Merkmale der Insolvenzanfechtung erheblich erhöht. Entscheidend wird neben der momentanen Liquiditätslage auch die Feststellung sein, dass der Schuldner – für den Gläubiger erkennbar – gewusst oder jedenfalls billigend in Kauf genommen hat, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht mehr bedienen zu können. Damit gelangen sowohl das Ausmaß der Deckungslücke als auch die Chancen für deren nachhaltige Beseitigung in den Fokus.

Insolvenzverwalter dürften künftig mehr Aufwand als bisher betreiben müssen, um der Insolvenzanfechtung zum Erfolg zu verhelfen. Spiegelbildlich bedarf es – mehr denn je – einer rechtlichen Prüfung derartiger Rückforderungsansprüche. Die Chancen der Verteidigung gegen Insolvenzanfechtungen dürfte das erhöhen.

Ansprechpartner*innen: Markus Ladenburger/Steffen Lux

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