Position des EU-Parlaments zur Novellierung des Verpackungsrechts

Um der Verpackungsflut entgegenzutreten, veröffentlichte die Europäische Kommission vor einem Jahr ihren Vorschlag für eine Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (Packaging and Packaging Waste Regulation, PPWR, wir berichteten). Die Bewertungen der Kommissionsvorschläge schwankten erheblich. Mal war von „besorgniserregender Lobbyarbeit“ gegen Recycling und Abfallprävention die Rede. Andere wiederum äußerten die umgekehrte Befürchtung, die PPWR lege unerfüllbare Voraussetzungen fest. Mit der Abstimmung über die Position des Europäischen Parlaments in der vergangenen Woche hat die Debatte wieder Fahrt aufgenommen.

Der Kommissionsentwurf: Reduzierung von Verpackungsabfall, Verpflichtung zur Wiederverwendung

Die PPWR soll die Verschmutzung durch Verpackungsmaterialien reduzieren und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft für Verpackungen fördern. Als Verordnung würde der Kommissionsvorschlag für alle Unternehmen in der EU ohne mitgliedstaatlichen Umsetzungsakt verbindlich werden (Art. 288 Unterabs. 2 AEUV) und so die seit 1994 geltende Verpackungsrichtlinie ablösen.

Im Durchschnitt fallen in Europa fast 180 kg Verpackungsmüll pro Kopf und Jahr an. Hier setzt der Vorschlag an: Verpackungsabfall soll bis 2040 um 15 Prozent reduziert werden. Er soll für alle Verpackungen gelten, unabhängig von ihrem Material, und für alle Verpackungsabfälle, unabhängig davon, wo sie angefallen sind. Zudem enthält der Entwurf besondere Anforderungen an die Nachhaltigkeit. Ab 2030 müssen alle Verpackungen für Recycling konzipiert sein und ab 2035 in vollem Umfang recycelbar sein. Außerdem sieht der Entwurf Mindestanteile an Rezyklaten aus Post-Consumer-Abfällen vor. Darüber hinaus sind Pflichten zur Kompostierbarkeit und zur Minimierung von Verpackungen, verpflichtende Kriterien für Mehrwegverpackungen, Etikettierungs-, Kennzeichnungs- und Informationsvorschriften und Zielvorgaben für die Wiederverwendung und Wiederbefüllung enthalten.

Umstritten waren vor allem die verbindlichen Rezyklateinsatzquoten für Lebensmittelverpackungen aus Kunststoff. Dabei handelt es sich um den vorgeschriebenen Anteil an wiederverwerteten Kunststoffen. Verpackungsunternehmen sowie Experten auf dem Gebiet der Verpackungsmarktforschung kritisierten, es gebe nicht genügend zugelassene Kunststoffrezyklate für kontaktempfindliche Verpackungen etwa für Lebensmittel. Sie monieren, die vorgeschlagene Regelung sei nicht erfüllbar und könne so zu Vermarktungsverboten führen. Bindende Quoten seien daher nicht realistisch – vielmehr sollten die Rezyklateinsatzquoten für Kunststoffverpackungen flexibel anwendbar sein und einen Ausgleich zwischen Herstellern erlauben. Die Voraussetzungen für den Einsatz von Rezyklaten seien nämlich unterschiedlich: So könne in einen Farbeimer wesentlich mehr Recyclingmaterial eingesetzt werden als in einer Shampoo- oder in einer Lebensmittelverpackung. Andererseits wurde kritisiert, es solle keine Ausnahmen von der Rezyklateinsatzquote geben, wenn der Kunststoff mit anderen Verpackungsmaterialien kombiniert wird, weil dadurch nur ein Ausweichen in nicht oder nur schwer recycelbare Verbundverpackungen und laminierte Verpackungen gefördert würde.

Die Position des Europäischen Parlaments: Annahme des Textes, zahlreiche Entschärfungen

Das EU-Parlament hat den Gesamttext des Vorschlags mit 426 Ja-Stimmen bei 125 Nein-Stimmen und 74 Enthaltungen angenommen. Dabei hat es aber auch zahlreiche Änderungsanträge verabschiedet. Es nahm das vom Umweltausschuss geforderte, spezifische Vermeidungsziel für Kunststoffverpackungen an: Pro Einwohner*in soll bis 2040 die Menge an Verpackungsabfall aus Plastik um 20 Prozent reduziert werden. Der Kommissionsvorschlag hatte nur Vermeidungsziele für das Gesamtaufkommen pro Einwohner*in vorgesehen – bis 2040 eine Reduktion um 15 Prozent.

Die Position des Parlaments enthält aber auch Entschärfungen gegenüber dem ursprünglichen Entwurf. Mehrwegquoten und Verbote von Einwegverpackungen sollen nur für Verpackungen aus Kunststoff gelten. Hinsichtlich der Rezyklatquoten für Kunststoffverpackungen fordert das Parlament, Herstellern von Kunststoffverpackungen die Möglichkeit einzuräumen, die Vorgaben für den Rezyklatgehalt bis zur Hälfte durch biobasierte Neuware zu erfüllen. Die European Recycling Industries’ Confederation (EuRIC) warnt nun, diese Anrechnungsmöglichkeit untergrabe die Wirksamkeit der Recyclingbemühungen und begünstige Kunststoffe auf Erdölbasis.

Umweltverbände kritisieren außerdem die vom Parlament angenommenen und sogar ausgeweiteten Ausnahmereglungen für die Wiederverwendungsziele. Diese wurden für alkoholfreie (20 Prozent im Jahr 2030 und 35 Prozent im Jahr 2040) und alkoholische Getränke (10 Prozent im Jahr 2030 und 25 Prozent im Jahr 2040) beibehalten, jedoch wurden Wein, Spirituosen und Milch aus dem Geltungsbereich herausgenommen. Die Wiederverwendungsziele des Artikel 26 unterliegen nun einer für alle Sektoren geltenden Ausnahmeregelung: Wenn die Mitgliedstaaten eine Sammelquote von mindestens 85 Prozent für ein bestimmtes Material erreichen oder planen, diese innerhalb von zwei Jahren zu erreichen, müssen sie die Wiederverwendungsziele nicht einhalten. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kritisierte, somit seien alle Mehrwegquoten „quasi unwirksam gemacht“.

Wie geht es weiter?

Der Rat, in dem die Mitgliedstaaten vertreten sind, könnte wieder ambitioniertere Vorgaben machen, zum Beispiel hinsichtlich der Mehrwegziele. Es ist zu erwarten, dass bis zum Treffen der EU-Umweltminister*innen eine Abstimmung über seine Verhandlungsposition in den Trilog-Gesprächen ergeht. Diese könnten nach dem Jahreswechsel beginnen, sodass eine Einigung über eine endgültige Fassung der VO noch vor den Europawahlen im Frühjahr 2024 möglich ist. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die umstrittenen Regelungen der PPWR im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens gestalten und ob sie dem ehrgeizigen Ziel der Abfallverringerung tatsächlich gerecht werden.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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