Bekenntnis zur Kommunalwirtschaft

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Heute vor 30 Jahren fanden in der DDR die letzten Kommunalwahlen mit der Einheitsliste der Nationalen Front statt. Die Wahlbeteiligung war mit fast 99 Prozent wie üblich hoch, davon stimmten – angeblich – wiederum sagenhafte 98 Prozent für die Einheitsliste. Dass da irgendetwas nicht ganz stimmen konnte, vermuteten die Bürgerinnen und Bürger der DDR schon länger. Doch an diesem Wahltag wollte man es genau wissen. Man überwachte die Auszählung der Stimmen und konnte tatsächlich nachweisen, dass die Auswertung manipuliert wurde. Sechs Monate später fiel die Mauer. Die ersten wirklich freien Kommunalwahlen fanden am 6. Mai 1990 statt. Mit einer Wahlbeteiligung von 75 Prozent.

Dass auch nach der Wiedervereinigung ein wachsames Auge gefordert war, zeigt der sogenannte Stromstreit: Es ist 1991. Die westdeutschen Stromkonzerne beabsichtigten, die ostdeutsche Energiewirtschaft zu übernehmen und unter sich aufzuteilen.

Dafür bekamen sie politische Rückendeckung – sowohl aus dem Osten durch die sogenannten Stromverträge der Regierung de Maizière als auch aus dem Westen durch deren Absegnung im Einigungsvertrag. Wenn sich dieser Plan durchgesetzt hätte, gäbe es heute in den neuen Bundesländern keine unabhängige Energiewirtschaft. Und damit natürlich auch nicht die vielfältigen kommunalwirtschaftlichen Aktivitäten, wie wir sie heute kennen.

Das Verfassungsgericht wurde von Kommunen vertreten durch BBH-Gründer Dr. Peter Becker angerufen. Mit Erfolg! Im Ergebnis kam es zum Stromvergleich: Gegen einen Verzicht auf die Beteiligungen an den Regionalversorgungsunternehmen erhielten die ostdeutschen Kommunen einen Anspruch auf das Strom- und Gasvermögen in ihrem jeweiligen Gemeindegebiet und das Recht, eigene Stadtwerke zu gründen.

Mit dem Stromvergleich war der Weg für eine Stadtwerkekultur in den neuen Bundesländern geebnet (und nebenbei der Grundstein von BBH gelegt). Entgegen der Einschätzung einzelner Marktbeobachter ist daraus kein kurzfristiges Phänomen geworden, das schnell verpufft ist. Ganz im Gegenteil: Die kommunalen Versorger haben es in den letzten Jahrzehnten nicht nur geschafft, sich auf dem Markt zu behaupten; sie haben sich den zahlreichen Veränderungsprozessen in der Energiewirtschaft erfolgreich gestellt und sich mit entwickelt, als z.B. die Liberalisierung aus einer klar und auf Jahrzehnte strukturierte Wirtschaft mit überschaubaren Prozessen eine enorm dynamische und schnelllebige Branche machte.

Auch heute muss sich die Energiewirtschaft vielfältigen Veränderungsansprüchen stellen, die aus Digitalisierung, verstärktem Wettbewerb, zunehmender Regulierung oder der geplanten Fusion zweier Großer erwachsen. Neue Geschäftsmodelle, innovative Projekte, kluge Unternehmensstrategien sind genauso gefordert wie der Blick über den Tellerrand: hin zur Wohnungswirtschaft, zum Mobilitätssektor, zur Startup-Szene.

Bei all diesen anspruchsvollen Herausforderungen muss man allerdings konstatieren: Die Entwicklung von einer zentralen Energiewirtschaft hin zu dezentralen Strukturen gibt den Stadtwerken Recht. Kommunale Unternehmen passen in unsere Zeit und erfüllen mit ihrem Fokus auf das Gemeinwohl die Voraussetzungen, die wir an eine nachhaltige Versorgungsinfrastruktur und eine effektive Daseinsvorsorge stellen. (Und kommunale Unternehmen bringen einen weiteren Vorteil mit: Niemand muss darüber diskutieren, ob man sie oder, sagen wir mal, Automobilunternehmen kollektivieren sollte …)

Die Zeiten der Einheitslisten bei den Wahlen sind jedenfalls glücklicherweise endgültig vorbei. Die nächsten (freien) Kommunalwahlen finden – parallel zur Europawahl  – am 26. Mai statt.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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