Was bin ich? Die gespaltene Persönlichkeit des Verifizierers

Wer bin ich, fragen sich Menschen seit Anbeginn der Welt. Wer aber Zuteilungsanträge auf Emissionsberechtigungen oder Emissionsberichte verifiziert, fragt sich das möglicherweise ganz besonders. Denn die nach dem Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz (TEHG) bestellten Verifizierer haben eine im deutschen Recht seltene Zwitterstellung inne: Einerseits erhalten sie ihren Auftrag vom Anlagenbetreiber. Mit der Verifizierung erfüllen sie auf den ersten Blick also nur ihre vertraglichen Pflichten. Andererseits weist das TEHG ihnen eine tragende Rolle im behördlichen Zuteilungsverfahren zu, in dem sie maßgeblich an der Aufbereitung des für die Zuteilung relevanten Sachverhaltes mitwirken. Zwar steht das Letztentscheidungsrecht der Deutschen Emissionshandelsstelle (DEHSt) zu, die selbst Daten nachfordern kann und davon durchaus Gebrauch macht. Ohne die Vorarbeiten der Verifizierer wäre die DEHSt aber schon personell mit der Sachverhaltsermittlung überfordert. Der Verifizierer agiert damit auch als unverzichtbarer Helfer der DEHSt. Deshalb verpflichtet das TEHG den Verifizierer auch auf die strikte Unabhängigkeit von seinem Auftraggeber.

Der Verifizierer mag sich hier nun fragen: Bin ich jetzt privater Dienstleister oder der verlängerte Arm der Behörde? Dies ist keine rein akademische Frage, sondern hat handfeste haftungsrechtliche Konsequenzen: Handelt der Verifizierer als Privatperson, haftet er auch als solche gegenüber seinem Auftraggeber, dem Anlagenbetreiber. Nimmt er dagegen eine Behördenaufgabe wahr, ist er haftungsrechtlich wie ein Beamter zu behandeln. Für Pflichtverletzungen eines Beamten haftet grundsätzlich die öffentlich-rechtliche Körperschaft, für die er tätig wird, Art. 34 Satz 1 GG. Eine persönliche Haftung des Verifizierers gegenüber dem Anlagenbetreiber ist dann regelmäßig ausgeschlossen.

Wie diese Frage zu beantworten ist, hat nun der BGH geklärt. In seinem Urteil vom 15.09.2011 (Az. III ZR 240/10) stuft er den Verifizierer als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne ein. Die Prüfung des Zuteilungsantrages durch den Verifizierer stehe mit dem Pflichtenkreis der DEHSt in so engem Zusammenhang, dass sie – so der BGH – geradezu einen Bestandteil der hoheitlichen Tätigkeit dieser Behörde ausmacht. Die Beurteilung der Richtigkeit der Angaben des Antragstellers im Zuteilungsverfahren stelle eine originäre Aufgabe der DEHSt dar, von der sie infolge der Verifizierung weitgehend entbunden sei. Dass ihr das Letztentscheidungsrecht zukommt, ändere an dieser Bewertung nichts. Es genüge, dass der Verifizierer einen maßgeblichen Einfluss auf die Behördenentscheidung ausübt.

Für die Anlagenbetreiber ist dieses Urteil zwiespältig. Einerseits steht nun endlich fest, dass die Verifizierung ein letztlich hoheitlicher Akt ist und damit nicht bedeutungslos sein kann. Dies hat die DEHSt immer wieder in Verfahren auf den Tisch gebracht, wenn Verifizierer zu Ergebnissen gekommen sind, die der Behörde wenig schmecken. Andererseits sind mit dem Urteil die Hürden für eine Inanspruchnahme von Verifizierern, die unrichtig testieren (auch dies kommt mal vor), faktisch gestiegen. Denn ehe er die Bundesrepublik Deutschland wegen Fehlern, die der Verifizierer übersehen hat, erfolgreich auf Schadensersatz verklagen kann, muss er einige Hürden überwinden.

  • Zum einen will das Gericht aus den Prüfleitlinien für Verifizierer nicht ableiten, dass jeder übersehene Fehler automatisch eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung begründet.
  • Zum anderen trägt der Anlagenbetreiber selbst Verantwortung für die Richtigkeit der Daten. Diese sind schließlich von ihm selbst zu ermitteln, der Verifizierer prüft nur nach.
  • Zum dritten sind die Anforderungen an die für Haftungsansprüche gegen Beamte (und nun also auch gegen Verifizierer) hoch: Die erforderliche Amtspflichtverletzung ist für den Geschädigten nicht selten ungünstiger als der Verschuldensmaßstab in einem Vertrag.

Auf der anderen Seite: Wenn dem Verifizierer eine solche schuldhafte Amtspflichtverletzung nachgewiesen werden kann, steht mit der Bundesrepublik Deutschland zumindest ein stets verlässlich solventer Schuldner zur Verfügung.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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