Wie die Energiewende von der politischen Wende profitieren kann
Wer die Zukunft erforschen will, muss die Vergangenheit kennen. An diese chinesische Weisheit, die man in ähnlicher Form immer wieder im Zitatenschatz findet, sollte man aktuell ruhig öfters denken. Denn die Energiewirtschaft befindet sich in einer Situation, in der es ihr gut täte, eine klare Vorstellung ihrer Zukunft zu entwickeln. Ein besonderer Teil der Vergangenheit jährt sich gerade zum 20. Mal. Am 22.12.1992 wurde der „Stromvergleich“ gefunden. Was vordergründig nur wie ein Kompromiss in einer komplexen verfassungsrechtlichen Streitfrage aussieht, sorgte dafür, dass die kommunale Energiewirtschaft in den neuen Bundesländern eine Erfolgsgeschichte wurde. Und er bildet die Grundlage einer Entwicklung, die uns im Rahmen der Energiewende noch sehr zupasskommen kann.
1990/1992: Stromstreit und Stromvergleich
Die letzte frei gewählte Regierung der DDR hatte bekanntlich die Aufgabe, die Integration des noch bestehenden Staates in die Bundesrepublik zu organisieren. Ein historisch einmaliger Vorgang mit vielen Facetten. Im Hinblick auf die Energiewirtschaft hat die Regierung de Maizière die Politik verfolgt, die zehn Stromverteilerkombinate sowie das Stromerzeugungskombinat in Aktiengesellschaften umzuwandeln und an die großen westdeutschen Stromversorger zu verkaufen. Die Kommunen, aus deren ehemaligen Stadtwerken das Vermögen der Verteilerkombinate größtenteils bestand, sollten lediglich marginale Kapitalanteile erhalten. Die Gaswirtschaft war in der DDR unbedeutend, da Erdgas nur gegen Devisen zu beschaffen war und daher nur vereinzelt zum Einsatz kam. Die Stromverträge waren somit das Herzstück zur Neuorganisation der Energiewirtschaft im ehemaligen DDR-Staatsgebiet. Sie wurden durch den Einigungsvertrag und das Kommunalvermögensgesetz sanktioniert. Ihre große strukturelle Besonderheit war, dass bei ihrer Exekution eine pluralistische Energiewirtschaft mit vielen Stadtwerken im ehemaligen Staatsgebiet der DDR dauerhaft verhindert worden wäre. Natürlich war dieser Neuordnungsansatz ganz nach dem Geschmack der großen deutschen Energiekonzerne, sie hätten flächendeckende Gebietsmonopole erhalten. Es konnte aber nicht nach dem Geschmack der Kommunen sein: Ihre Stadtwerke, die sie in den 1950er Jahren durch Eingliederung in die Energiekombinate verloren hatten, würden sie nun dauerhaft nicht mehr wiederbekommen.
Es regte sich massiver Widerstand. Die Bürgermeister der Wendezeit, eindrucksvolle Persönlichkeiten, revolutionserprobt und kampfentschlossen, begannen vor Ort kommunale Energiestrukturen aufzubauen. Die örtlichen Heizwerke waren dabei der Nucleus. Aber es fehlte eben die rechtliche Grundlage. Auf abenteuerlichem Weg wurde Dr. Peter Becker, zu dieser Zeit Inhaber einer kleinen, jedoch angesehenen, verfassungsrechtlich-spezialisierten Kanzlei in Marburg, zentrale Figur der juristischen Auseinandersetzung. Etwa 140 Städte übertrugen ihm das Mandat, „ihre“ Stadtwerke zu erstreiten. Das entscheidende Kapitel dieser Auseinandersetzung war eine Kommunalverfassungsbeschwerde, die rechtshistorisch in mehrfacher Hinsicht bis heute herausragt: Das Verfassungsgericht hielt die mündliche Verhandlung am 27.10.1992 im Kasino des Reichsbahn-Ausbesserungswerkes Stendal ab. Damit wollte es in dem wirtschaftlich bedeutendsten Prozess der deutschen Geschichte demonstrieren, dass es auch das Verfassungsgericht der neuen Länder ist. Die mündliche Verhandlung war äußerst turbulent und der Große Saal konnte kaum alle Beteiligten fassen. Denjenigen, die dabei waren, wird sie unvergesslich bleiben. Einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte ist aber auch, dass das Verfassungsgericht einen Vergleich vorschlug. Er gewährte materiell-rechtlich im Kern den Städten, was sie wollten – nämlich den Anspruch auf Herausgabe der örtlichen Stromversorgungsanlagen. Nach der mündlichen Verhandlung wurde in zähem Ringen der konkrete Vergleichstext erarbeitet, der am 22.12.1992 unterschrieben wurde. Wichtiger Akteur war auch Rechtsanwalt Wolf Büttner, erfahrener Fahrensmann aus der Gaswirtschaft, und nach einem Intermezzo bei der Treuhand gemeinsam mit Dr. Peter Becker tätig. Er sorgte mit dafür, dass auch die Gasversorgungsanlagen und damit das zukünftige Gasgeschäft zu den Stadtwerken kommen konnte. Damit war der Stromstreit auch konstitutiv für die Gründung von Becker Büttner Held.
1992 – 2012: Der Stromvergleich wird Wirklichkeit
Doch wie so oft steckte der Teufel im Detail. War es zunächst bereits schwierig, die Zustimmungen aller Kläger für den Kompromiss zu erhalten, gestaltete sich die Umsetzung der abstrakten Vereinbarung in die Praxis oft mühselig. Teilweise dauerte es bis zu zehn Jahre, bevor die Anlagen wirklich beim Stadtwerk angekommen waren (Details bei Zenke, Genehmigungszwänge im liberalisierten Energiemarkt, 1998).
Und dennoch entstanden dadurch viele kommunale Unternehmen, die – vom Geist der (politischen) Wende getragen – jung, innovativ und durchsetzungskräftig waren. Sie waren mental vorbereitet auf die kurz darauf aus Brüssel „verordnete“ Liberalisierung der Energiemärkte. Aussagen wie „Das haben wir doch schon seit Jahrzehnten so gemacht, warum es jetzt ändern?“ konnte es bei den jungen Stadtwerken nicht geben. Daher hat man sich oft mit Enthusiasmus auf die neuen Möglichkeiten geworfen, die zum Beispiel die freie Lieferantenwahl mit sich brachten. Nicht umsonst hat sich übrigens die Energiebörse dann in Leipzig angesiedelt …
Die kommunale Energiewirtschaft steht heute sehr gut da. Viele Stadtwerke in Ost wie West, in Nord wie Süd sind wichtige Motoren ihrer Region. Sie investieren in erneuerbare Erzeugung, in Netzstabilität, in intelligente Steuerungstechniken und Elektromobilität. Sie machen Energiefragen greifbar und kommunizierbar. Sie treiben den Wettbewerb, weil sie Alternativen bieten. Sie sind sozial und kulturell engagiert. Kurz gesagt: Sie sind einfach nicht wegzudenken. So überrascht es auch nicht, dass es eine Reihe von prominenten Rekommunalisierungsbeispielen derzeit gibt, in denen Städte „ihre“ Stadtwerke zurückwollen.
2013 – ?: Der Stromvergleich als Basis für die Zukunft
Richtet man nun den Blick in die Zukunft, sehen wir die Herausforderungen, die sich aus der Energiewende ergeben: Das Management volatiler Energieerzeugung, das netzseitige Management dezentraler Erzeugungsanlagen, die Verzahnung von Erzeugung und Verbrauch, die Steigerung der Energieeffizienz in allen Medien und vieles mehr.
Es ist evident, dass die Aufgaben für die Energiewirtschaft der Zukunft nur mit pluralistischen energiewirtschaftlichen Strukturen gemeistert werden können. Während für manche energiewirtschaftliche Aufgabenstellungen, wie z. B. Übertragungsnetze, möglichst große Lösungen notwendig sind, sind dezentrale, örtliche Steuerungseinheiten für ein erfolgreiches Energiemanagement unverzichtbar. Die spartenübergreifende Struktur mit Wärme-, Strom- und Gasnetzen in einer Hand, wie dies besonders auch für die ostdeutschen Stadtwerke kennzeichnend ist, ist dabei weiterer Erfolgsfaktor. Bei allem, was auch an negativen Entwicklungen zu beklagen ist, kann doch die Energiewirtschaft in Ostdeutschland auf eine beispiellose Erfolgsbilanz seit 1992 zurückschauen. Für die Energiewende gilt, dass die politische Wende in zweierlei Hinsicht interessant ist. Zum einen wurden – heute vor 20 Jahren – die Strukturen geschaffen, die auch in Ostdeutschland die Energiewende tragen können. „Gäbe es keine Stadtwerke, so müssten sie erfunden werden.“ Aber auch die Flexibilität und das entschlossene Handeln der Akteure von damals, die vor Ort unter schwierigsten Umständen die Stadtwerke aufbauten, sollte ein Leitbild sein. Die Sorge, dass wir durch Überregulierung den erneuten Marsch in die Planwirtschaft antreten, ist nicht irreal, aber vor Weihnachten sind ja Wünsche und Hoffnungen angebracht: Also lernen wir für die Zukunft aus der Rückschau. Der Wunsch heißt: Klare Rahmenbedingungen und Akteure, die unternehmerisch handeln können – die Strukturen sind da.
Ansprechpartner: Prof. Christian Held
PS. Lesen Sie gern mehr zum Stromstreit im Speziellen und den kommunalen Aktivitäten im Allgemeinen bei der Unternehmerin Kommune, herausgegeben durch Prof. Dr. Michael Schäfer.