Bundeskartellamt zur Marktmacht von RWE Teil IV: Kein Ende in Sicht

Am 9.8.2023 hat das Bundeskartellamt (BKartA) seinen aktuellen Marktmachtbericht zu den Wettbewerbsverhältnissen im Bereich der Erzeugung elektrischer Energie 2022 (und 2023) vorgelegt. Wir berichten nun schon im vierten Jahr über die Entwicklungen (siehe hier, hier und hier). Während die Marktmacht von RWE in den Jahren 2019/2020 noch knapp an der Beherrschungsschwelle lag, wurde diese 2021 erstmalig deutlich überschritten. Nun bestätigt das BKartA erneut: Die Marktmacht von RWE hat sich 2022 weiter verfestigt und ein Blick in die Zukunft legt nahe, dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird:

 „RWE […] klar über der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung“

Der Bericht analysiert die Marktmachtverhältnisse in Bezug auf die Erzeugung und den erstmaligen Absatz von Strom im Zeitraum vom 1.10.2021 bis zum 31.3.2023. Gesetzlich ist die Veröffentlichung eigentlich alle zwei Jahre vorgesehen. Die Entwicklungen im Bereich der Stromerzeugung, insbesondere in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt, haben das BKartA aber veranlasst, die Veröffentlichung – erneut – vorzuziehen.

Andreas Mundt, Präsident des BKartA, bringt es in der zum Marktmachtbericht veröffentlichten Pressmitteilung auf den Punkt: „RWE ist in einer Vielzahl von Stunden unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage in Deutschland und liegt damit klar über der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung.“

Wie in den Vorjahren hat das BKartA bei seiner Analyse die Besonderheiten des Stromsektors berücksichtigt. Strom ist nicht speicherbar, sondern muss genau in dem Moment produziert werden, in dem er benötigt wird. Für die Beurteilung der Marktmacht können daher nicht allein die Marktanteile der einzelnen Wettbewerber herangezogen werden, sondern es ist darauf abzustellen, wie viele Stunden im Jahr das Unternehmen für die Stromnachfrage unverzichtbar („pivotal“) ist.

Das kann man analytisch anhand des Residual Supply Index (RSI) überprüfen, bei dem für jede Viertelstunde eines Jahres die Erzeugungskapazität eines einzelnen Anbieters mit der vorhandenen Erzeugungskapazität des Marktes und der Gesamtnachfrage ins Verhältnis gesetzt wird. Ergibt sich ohne die Erzeugungskapazität des Anbieters eine „Unterdeckung“ der Nachfrage, ist der Anbieter pivotal. Steht fest, dass ein Stromerzeuger in bestimmten Zeitabschnitten pivotal ist, wird geprüft, ob dies auch in größeren Zeiträumen des Jahres der Fall ist, weil dann davon auszugehen ist, dass der Anbieter über ein wettbewerblich erhebliches Maß an Marktmacht verfügt. Wenn ein Stromerzeuger in mindestens fünf Prozent der Jahresstunden für die Deckung der Gesamtnachfrage unverzichtbar ist, wird seine marktbeherrschende Stellung vermutet.

Anhand dieser Analyse konnte das BKartA feststellen, dass sich RWEs Marktmacht weiter verfestigt hat. In der Rechnung mit einem statischen ausländischen Wettbewerbspotential von rund 8.100 MW lag der pivotale Zeitanteil von RWE im Jahr bei 12,0 Prozent, bei 5.500 MW waren es sogar 19,8 Prozent. Die pivotalen Zeitanteile der nächstgrößeren Wettbewerber, LEAG und EnBW, liegen zwar nahe unter der Vermutungsschwelle, haben diese aber noch nicht erreicht.

Verschiedene Kontroll- bzw. Sensitivitätsrechnungen des BKartA und der Blick auf aktuelle Entwicklungen bestätigen die problematische Verdichtung bei RWE. So war der Stromerzeugungsmarkt im Jahr 2022 von Besonderheiten geprägt: Während Anfang 2022 mehrere Kraftwerke dauerhaft abgeschaltet wurden, darunter drei Atomkraftwerke, wurden zur Dämpfung von Strompreissteigerungen im Zuge des Ukraine-Konflikts die Laufzeiten von Atomkraftwerken kurzzeitig verlängert und Kohlekraftwerke reaktiviert. Angesichts dieser Schwankungen hat das BKartA zusätzlich die Bedeutung freier ausländischer Kraftwerkskapazitäten und den Einfluss von Stromimporten auf die Marktmachtverhältnisse in Deutschland untersucht. Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass die Marktverhältnisse trotz der turbulenten Entwicklungen eine bemerkenswerte Stabilität aufweisen. Auf Sicht wird sich an der Dominanz von RWE dabei nichts ändern. Das BKartA prognostiziert vielmehr, dass die Marktmacht von RWE „perspektivisch weiter zunehmen wird“.

Wie konnte es dazu kommen?

Nach Krisenzeiten und grundlegenden Konzernumstrukturierungen bei RWE in 2016 sowie durch den allgemeinen Abbau von Erzeugungskapazitäten in Deutschland hat sich die Rückkehr von RWE zu alter Marktmacht seit mehreren Jahren angekündigt.

Wettbewerbstechnisch wurden die Grundlagen dafür bereits ab Anfang 2018 gelegt, als sich RWE und E.ON überraschend darauf verständigten, ihre Rivalität zu beenden und die Wertschöpfungsstufen Erzeugung, Netz und Endkunden des deutschen Energiemarkts einfach untereinander aufzuteilen. Das wurde anschließend von den Wettbewerbsbehörden trotz erheblicher Kritik aus dem Markt auch gestattet.

So wurde im Rahmen der komplexen Gesamttransaktion konventionelles und regeneratives Erzeugungsgeschäft der E.ON zur RWE und im Gegenzug das Netz- und Endkundengeschäft der einstigen RWE-Tochter zur E.ON verschoben, was im Rahmen der Fusionsprüfungen in den Verfahren M.8871 („RWE/E.ON Assets“) und M.8870 („E.ON/innogy“) ohne nennenswerte Einschränkungen durch die Europäische Kommission (KOM) gebilligt wurde. Gleichzeitig beteiligte sich RWE mit 16,67 Prozent an E.ON, wobei auch das BKartA im Verfahren B8-28/19 weder in der Beteiligung von RWE an E.ON noch in der Konzentration der RWE auf bzw. dem Rückzug von E.ON aus der Stromerzeugung ein Wettbewerbsproblem sah (wir berichteten u.a. hier, hier, hier und hier).

Gegen die (gerichtlich allein überprüfbaren) Freigaben der KOM klagten daraufhin elf namhafte Versorger beim Europäischen Gericht (EuG) in Luxemburg (wir berichteten hier und hier), dies zum Teil auch gegen den Widerstand der Bundesregierung im Verfahren. Nachdem das EuG die Klagen gegen die Konzentration der Erzeugung bei RWE im Fall M.8871 abwies, wird nun der Europäische Gerichtshof abschließend über die Rechtmäßigkeit jener Freigabe befinden müssen. Die Entscheidung des EuG zu der die Konzentration der Netze und Endkunden bei E.ON betreffenden Freigabe im Transaktionsteil M.8870 steht noch aus.

Was wird das BKartA tun?

Das BKartA hat aufgrund der negativen Prognosen für die Wettbewerbsverhältnisse in der Erzeugung bereits im Marktmachtbericht eine weiterhin kritische Beobachtung des Marktes und zeitnahe Aktualisierung ihrer Analysen angekündigt.

Abseits dessen wird spannend, ob die Marktbeherrschung der RWE und die insgesamt wachsende Konzentration im Bereich der Stromerzeugung auch kartellbehördliche Eingriffe nach sich ziehen. Erst am 6.7.2023 hat der Bundestag die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet, die die Eingriffsinstrumente des Kartellrechts schärfen soll. Das BKartA konnte früher schon sogenannte „Sektoruntersuchungen“ durchführen, die sich nicht gezielt gegen einzelne Unternehmen richten, sondern umfassend die Wettbewerbsverhältnisse in einzelnen Wirtschaftszweigen untersuchen. Ein Novum ist nun, dass dem BKartA im Anschluss an eine solche Sektoruntersuchung auch ohne Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes erhebliche Eingriffsmöglichkeiten eingeräumt werden – bis hin zur Anordnung der Entflechtung marktbeherrschender Unternehmen.

Ob es dazu in Bezug auf die Stromerzeugung im Allgemeinen und RWE im Konkreten tatsächlich kommt, bleibt abzuwarten. Wir behalten die Entwicklungen für Sie jedenfalls weiter im Blick.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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