Interview Energiewende: Wo stehen wir? Was ist zu tun?

(c) Schulzendorff

Prof. Dr. Dr. h. c. Klaus Töpfer gilt durch seine beruflichen Stationen als Landesumweltminister, Bundesumweltminister, Bundesbauminister und Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms als „das grüne Gewissen der CDU“. Seit 2009 ist er Direktor des Institutes for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam. 2011 präsidierte er der von der Bundesregierung nach der Fukushima-Katastrophe eingesetzten Ethikkommission. Anlässlich der Veranstaltung „Energiewende: Wo stehen wir? Was ist zu tun?“, die am 28.06.2012 in Berlin stattfinden wird, hatten wir die Gelegenheit, mit Herrn Prof. Töpfer ein Interview zu führen.

BBH-Blog: Herr Prof. Töpfer, im März des vergangenen Jahres sind Sie zum Co-Vorsitzenden der „Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung“ ernannt worden. Fanden Sie den Titel eigentlich passend?

Prof. Töpfer: Die Ethikkommission hat in der Tat intensiv über die ethischen Fragen dieser Herausforderung diskutiert. Ich kann ihnen versichern, dieser Titel hat insbesondere international Stirnrunzeln erzeugt. Denn entweder scheinen ethische Forderungen universal und damit auch all jene, die Atomenergie weiter nutzen wollen, in unseren Augen ethisch nicht vertretbar, oder aber es müsste eine spezifisch „deutsche Ethik“ aufgezeigt werden – etwas, womit wir hierzulande wirklich keine guten Erfahrungen gemacht haben. Und dennoch, gerade weil es darum ging, eine sichere Energieversorgung als ein Gemeinschaftswerk und nicht allein als eine technische Fragestellung zu erfassen, war die intensive Beschäftigung mit diesen grundlegenden Fragen letztlich ein Garant für das Gelingen der Kommissionsarbeit.

BBH-Blog: Oder anders gefragt: Ist die so bezeichnete Energiewende eine Frage der Moral?

Prof. Töpfer: Ja, sie ist auch eine Frage der Moral. Denn wenn die Energiewende gelingen soll, muss man in einer offenen demokratischen Gesellschaft einerseits die Grundüberzeugungen erst nehmen, die in unserem Lande in den vergangenen Jahrzehnten dazu geführt haben, dass es ethisch geboten ist, risikoärmere Technologien zu entwickeln und auch einzusetzen. Ich selbst habe hier viel gelernt, beispielsweise dass man aus dem Zusammenspiel von prinzipienethischen Forderungen und einer abwägenden ethischen Grundhaltung eine tragbare Orientierung für diese komplizierten Fragen gewinnen kann. Wenn wir für den „Erfolg des Moralischen“ eintreten wollen, müssen wir hier eine ganze Reihe an Nebenbedingungen beachten. Wir müssen beispielsweise verhindern, dass der Atomausstieg zulasten des Klimaschutzes oder der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes geht.

BBH-Blog: Nachdem bereits im letzten Jahr zentrale politische Entscheidungen gefällt wurden, befinden wir uns nun in der Zeit der Umsetzung und Anpassung. Was sind aus Ihrer Sicht die drei dringlichsten Fragen, die gelöst werden müssen?

Prof. Töpfer: Dazu gehört die Zukunft des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes mit der Frage nach der Marktintegration der Erneuerbaren Energien. Da geht es nicht nur um die Einflüsse auf die Merit-Order, sondern auch um die weiteren Auswirkungen auf unser Energieversorgungsnetz. Außerdem sollten wir an die Frage herangehen: Wie erreichen wir Investitionen in fossile Kraftwerke, vor allem in Gaskraftwerke? Es geht um flexible Kraftwerke, die wir für den Übergang brauchen und deren ökonomische Rahmenbedingungen derzeit nicht stimmen. Eine dritte Frage ist die nach weiterer Flexibilität, zum Beispiel bei den Lasten. Da liegt ein enormes Potenzial, das wir noch nicht ausreichend nutzen.

BBH-Blog: Drei Felder, drei Ansätze, aber ein überspannendes Problem. Verlieren wir uns in der Komplexität der Energieversorgung? Oder vielleicht besser positiv gewandt: Wie schaffen wir es, ein System aus einem Guss zu erzeugen?

Prof. Töpfer: Wir schaffen das mit einem zentralen Management der Energiewende, einem Masterplan. Den muss jemand aufstellen, die Ziele formulieren und sie nachhalten. Gleichzeitig sollte die Öffentlichkeit eingebunden und über die Fortschritte informiert werden. Und wir müssen alle gesellschaftlichen Gruppen einbeziehen: Die Energiewende ist und bleibt ein Gemeinschaftswerk.

BBH-Blog: Es gibt aber viele Pfründe, die verteidigt werden, viele Zuständigkeiten, die ungern aufgegeben werden …

Prof. Töpfer: Genau deshalb halte ich einen Beauftragten für die Energiewende für sinnvoll. Es geht um eine professionelle und zentrale Verantwortung für das Großprojekt Energiewende.

BBH-Blog: Als ehemaliger Spitzenbeamter der UN sind Sie gewohnt, in globalen Zusammenhängen zu denken. Wie bewerten Sie den deutschen „Alleingang“ bei der Energiewende? Nehmen wir unsere Nachbarn ausreichend mit? Und binden wir sie genügend ein? Es gibt Stimmen, die Deutschland ein zu starkes „Autarkie-Bedürfnis“ vorwerfen.

Prof. Töpfer: Die Leuten schauen auf Deutschland, das ist klar. Manche fragen sich, ob wir die Nerven verloren haben mit dem Ausstieg aus der Kernenergie, andere sind sehr interessiert und sagen: wäre klasse, wenn ihr das hinbekommt. Am IASS in Potsdam haben wir mit der „Plattform Energiewende“ ein wissenschaftliches Projekt gestartet, das die Energiewende nicht nur als deutsches Phänomen betrachtet, sondern auch mit Blick auf unsere europäischen Nachbarn und internationalen Partner. Es geht dabei auch darum, in den direkten Dialog mit unseren Nachbarn zu kommen und den Wissenstransfer zum Thema Energiewende zu ermöglichen. Und es geht darum, Fragen zu stellen und Lösungsansätze gemeinsam zu finden.

BBH-Blog: Ein anderer stark diskutierter Aspekt der Energiewende ist die Frage von Wettbewerb und Planung. Durch staatliche Maßnahmen und viele Umlagen ist der Teil des Energiepreises für den Endkunden, der im Wettbewerb steht, immer kleiner geworden. Welchem Prinzip will der Volkswirt und welchem der Politiker den Vorrang gewähren? Oder muss man hier – wie so oft – kurz-, mittel- und langfristige Perspektiven unterscheiden?

Prof. Töpfer: Sie legen den Finger gleich an die richtige Stelle. Denn kurzfristig sind alle Kosten Fixkosten. Langfristig sind Kosten variabel. Der volkswirtschaftlich informierte Politiker, aber auch der politisch informierte Unternehmer oder Ökonom, wird sicher nach dem richtigen Zusammenspiel dieser beiden Zeitdimensionen suchen. Insbesondere aus Wissenschaft und Praxis zu Transformationen wissen wir aber, dass wir hier steuernd eingreifen müssen, um eine Lücke für Neues zu reißen. Wenn ich auf das gegenwärtige Diktat der Kurzfristigkeit schaue, das sich in immer mehr Bereichen unserer Gesellschaft niederschlägt und in letzter Konsequenz demokratisches Regieren unmöglich macht, dann verkommt mir der bloße Verweis auf den „Wettbewerb“ zur Phrase und das Drohen mit „Planwirtschaft“ zur Ideologie. Das Diktat der Kurzfristigkeit führt Nachhaltigkeit ad absurdum. Der Raum für Handlungsalternativen muss von einer sozialen und ökologischen Markwirtschaft zurück erobert werden. Auch dafür hat das Gemeinschaftswerk einen Grundstein gelegt.

BBH-Blog: Wir danken Ihnen ganz herzlich für das Gespräch und treffen Sie dann am Donnerstag.

Dieses Interview führten Prof. Dr. Ines Zenke und Dr. Christian Dessau.

Sie interessieren sich für die Veranstaltung „Energiewende: Wo stehen wir? Was ist zu tun?“. Dann schauen Sie doch einfach hier – die Veranstaltung wird nämlich als Live-Stream übertragen!

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